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Horror-Party: Münchner Oktoberfest mit Influencerin
Horror-Stufe: 5 aus 10
Center of Attention: Instagram
Trinkverhalten: an der Maß nippen
In München wäre an diesem Wochenende die Wiesn losgegangen, wenn nicht Corona dazwischen gekommen wäre – zum zweiten Mal. Deswegen gibt es heute diese Sonderfolge der Horror-Kolumne für alle, die Wiesn-Weh haben. Denn auch das Oktoberfest ist nicht immer der Hammer und gehört deshalb in diese Serie: Hier erzählen wir von den schlimmsten Partys, auf denen wir in unserem Leben waren. Falls du selbst von einer Party erzählen willst: Schreib uns an info@jetzt.de!
Auf dem Instagram-Account meiner Bekannten sah dieser Wiesnbesuch nach einem super Tag aus: schöne Frauen in schönen Dirndln, umgeworfene Dosen am Stand und von Spickern geplatzte Luftballons, kuschelnde Freundinnen und bierkrugstemmende Freunde. Die Realität dahinter war nicht nur weniger idyllisch, sondern auch um einiges unangenehmer.
Mein Tag begann, wie es sich gehört: mit einem Kater von der Wiesn am Tag zuvor. Ich quälte mich trotzdem gegen Mittag ins Bierzelt, schob mich dafür durch die Menge und nach einiger Zeit an den Türstehern vorbei. Im Zelt wartete meine Bekannte, die nicht in München wohnte, und die ich deshalb schon jahrelang nicht mehr gesehen hatte. Nennen wir sie Lisa. Als ich ankam, stand Lisa schon zwischen einigen Männern auf einer Bierbank, eine Mass Bier in der einen Hand, das Smartphone in der anderen, den Arm weit von sich gestreckt. Selfie-Time.
Mir kam schnell der Verdacht, dass Lisa uns vor allem als Statist:innen hier versammelt hatte
Als ich sie begrüßte, schaute sie hinunter zu mir und stieß einen Schrei der Verzückung aus: „Yeeeey, yey, yey – du bist hier.“ Es war das letzte, was sie in den nächsten Stunden zu mir sagen würde. Zum Einen mag das daran liegen, dass es im Bierzelt einfach verdammt laut ist und man dort nicht gut smalltalken kann. Zum Anderen hatte Lisa hier offenbar einen Job zu erledigen: Ihre etwa zehntausend Follower:innen zu influencen nämlich. Ob sie nun Bier trank, auf dem Tisch tanzte oder einem anderen Menschen um den Hals fiel – das Handy nahm es auf.
Dabei kam mir auch schnell der Verdacht, dass Lisa uns vor allem als Statist:innen hier versammelt hatte. Neben mir hatte sie nämlich auch andere Münchner Bekannte herbestellt, die sich alle untereinander nicht oder nicht besonders gut kannten – Lisa interessierte sich für niemanden von uns. Erst, wenn eine Person mit ihr gemeinsam in die Selfiekamera schaute, lachte Lisa mit ihr und küsste sie nicht selten auf die Wange. Das Ergebnis auf Instagram sah später übrigens nach großer, inniger Freundschaft aus.
Hin und wieder bekamen wir Statist:innen auch kleine Aufgaben. Zum Beispiel ein Boomerang aufzunehmen – dafür stießen wir bestimmt zehnmal mit unseren Bierkrügen an, bis Lisa befand: „Okay, kann so raus.“ Während sie also für ihre Instastory fotografierte und Schriftzüge und Hashtags drapierte und dann alles im nächsten Moment hochlud, wurde ihre Mass schal und die meisten ihrer Freund:innen hatten sich inzwischen auf die Bierbänke gesetzt. Für alle Nicht-Wiesn-Gänger:innen an dieser Stelle ein bisschen Kontext: Im Bierzelt ist das ein unmissverständliches Zeichen dafür, dass die Stimmung gerade nicht am Höhepunkt ist.
Die Statist:innen wippten nur noch leicht im Takt, nippten an ihrem Bier, schauten sich immer wieder verlegen um, versuchten hier und da Smalltalk miteinander. Lisa versuchte sogar immer wieder die Stimmung ein bisschen zu retten, allerdings indem sie Vorwürfe machte: „Jetzt seid doch nicht so schlecht drauf“ oder „trinkt mal ein bisschen mehr“. Selbst wenn sie andere Worte gewählt hätte – es war einfach noch zu früh am Tag, der Pegel zu niedrig, die Gruppe zu fremd. Und ich saß hier in meiner Langeweile fest. Denn die Wiesn verlässt man halt auch nicht wieder um 15 Uhr, wenn man sich doch extra ins Dirndl und danach ins Bierzelt gezwängt hat.
Draußen stellte sie sich vor so ziemlich jeder Bude einmal auf, in der gefühlt immer gleichen Position
Glücklicherweise war meine Bekannte gegen 16 Uhr in Aufbruchstimmung. Das Zelt war wohl genug fotografiert worden, nun wollte sie an die Stände und vielleicht ein bisschen Achterbahnfahren. Draußen stellte sie sich vor so ziemlich jeder Bude einmal auf, in der gefühlt immer gleichen Position: Sie posierte leicht seitlich, hob keck den Fuß, warf den Kopf in den Nacken und lachte „herzlich“.
Ein Teil der Leute, die wegen ihr gekommen waren, dackelte währenddessen hinterher und beobachtete die Inszenierung, darunter ich. Andere waren entweder im Zelt geblieben oder hatten sich auf dem Weg von Stand zu Stand abgeseilt. Etwa eine Stunde später, als Lisa Fahrgeschäfte fahren wollte, waren nur noch eine weitere Bekannte und ich übrig. Ich weiß nicht, warum ich überhaupt solange geblieben war – irgendwie hatte ich wohl noch Hoffnung, dass etwas Gutes aus diesem Tag werden könnte. Vielleicht bliebe ja wenigstens in der Achterbahn das Handy in der Tasche?
Natürlich nicht. Als Lisa fast mit Einsteigen an der Reihe war und begann, ihre Follower:innen auf Englisch auf die Fahrt vorzubereiten, war es soweit. Ich fakte einen Anruf, deutete wichtigtuerisch auf mein Handy und sagte: „Sorry, Lisa, ich muss leider dringend gehen!“ Ich verließ die Schlange und mit übertrieben bedauerndem Gesichtsausdruck winkten wir uns beide zu. Sie rief noch etwas zum Abschied, dann verschwand ich in die Dämmerung. Seitdem habe ich sie nicht mehr wiedergesehen. Außer in ihren Instastorys natürlich.
*Die Autorin dieses Textes möchte hier nicht genannt werden, damit auch ihre Bekannte nicht identifizierbar wird.