- • Startseite
- • Horror-Party
-
•
Horror-Party: Eskalation im Illegalen Club
Wir alle vermissen Partys – und vergessen dabei leicht, dass Feiern nicht immer nur spaßig ist. In dieser Serie erzählen wir deshalb von den schlimmsten Partys, auf denen wir in unserem Leben waren. Viel zu viel Alkohol, grässlich langweilige Verwandte, emotionale Tiefpunkte – es gibt ja viel, das eine Feier vermiesen kann. Falls du selbst von einer schlimmen Party erzählen willst: Schreib uns eine Mail an info@jetzt.de!
Horrorstufe: 6 von 10
Center of Attention: Ein illegaler Club, unser illegaler Club
Trinkverhalten: Panisch, dann euphorisch, dann sehr müde
Und plötzlich ist da vor mir ein Loch in der Wand. Der Gewölbekeller, indem ich auf einer Bierkiste balanciere, und die Waschküche nebenan gehören auf einen Schlag zusammen. Das Mauerwerk ist durchbrochen, Ziegelsteine liegen auf dem Boden. Von der anderen Seite des Lochs grinst mein bester Freund Karl mit einem Vorschlaghammer in der Hand durch die Staubwolke herüber. „Ich dachte, du stehst mit der Kamera viel weiter drüben“, lacht er und zieht die Schutzbrille ab. „Da wursteln wir den Lüftungsschlauch durch.“
Einen hochillegalen Technoclub im Keller des eigenen Wohnblocks zu betreiben, birgt seine ganz eigenen Herausforderungen. Man braucht einen Tresen (wir zimmerten uns selbst einen aus alten Holzlatten), ein bisschen Atmosphäre (wir beschlossen, alles schwarz zu streichen) und Getränke, die man erst mal herankarren muss. Gleichzeitig die ständige Panik, dass man etwas Wichtiges vergessen hat, was in der Nacht des „Grand Opening“ zu betrunkenen Tränen, ja überhaupt jeder Art von Drama führen könnte. Und was man auch braucht, wie wir in den Testläufen zuvor gelernt hatten, ist eine funktionierende Lüftung. Ein bisschen Schwitzen macht durstig, aber sintflutartige Schweißströme bei uns führen nur dazu, dass nicht-illegale, gelüftete Clubs viel attraktiver aussehen.
So kam es, dass Karl ein Loch in die Wand des Wohngebäudes in unserer Kleinstadt in Baden-Württemberg kloppte, in dem wir zu der Zeit (übrigens noch vor der Corona-Pandemie), in einer WG zusammenlebten. Vor Wochen hatten wir entschieden, dass es an der Zeit wäre, nicht mehr nur über die Clubs zu nörgeln, sondern selbst einen aufzumachen. Natürlich ohne Genehmigung, natürlich völlig chaotisch. Wir hatten sowas ja noch nie gemacht. Klar arbeiteten wir damals beide im Nachtleben, aber ein eigener Laden? Wir dachten uns, dass das so schwer schon nicht sein konnte und beschlossen, dass mit guter Vorbereitung eigentlich wenig schiefgehen könnte.
Mit einer funktionierenden Lüftungsanlage und dem Irrglauben, auf jede Eventualität vorbereitet zu sein, wollen wir also 00:00 Uhr die Türen im Erdgeschoss öffnen. In den Tagen zuvor hatten wir Freund*innen von unseren Umbauarbeiten im Keller erzählt, und gehofft, dass vielleicht die ein oder andere Clique sich heute Abend hierher verirren würde. Um die Unkosten einzuspielen, hatten wir ausgerechnet, dass zwanzig Gäste kommen müssten. Zwanzig Gäste, das war die neuralgische Grenze. Und ehrlich: Zwanzig Gäste erschienen uns bis 23:59 Uhr ein Ding der Unmöglichkeit zu sein.
Was, wenn die Bruchbude einstürzt?
Aber nein. Vor dem Haus warten um 00:00 Uhr Menschen. Echte Menschen. Und nicht zehn, nicht fünfzig, sondern mehrere Hunderte. Freudestrahlende, betrunkene Horden, die ihr Bedürfnis nach Rausch und Rave an diesem Freitagabend in unserer durch und durch baufälligen Disko verrichten wollen. Ich erinnere mich an ein Mischgefühl aus Stolz und nackter Panik. Seien wir ehrlich: ein bisschen mehr Panik als Stolz. Was, wenn das Bier nicht reicht? Was, wenn der Strom ausfällt? Was, wenn die Bruchbude einstürzt?
Die Schlange geht damals über den Hof, über die Straße, vorbei an den Dixie-Toiletten, die wir am Vortag geistesgegenwärtig bestellt hatten, bis vor das Nachbarhaus: die kameraüberwachte, aserbaidschanische Botschaft.
Wie die Opfer in Krimiserien zu sagen pflegen, geht dann alles sehr schnell: Ich kassiere Münzgeld, stemple Unterarme, kehre Scherben auf, suche in Jackenbergen nach verschollenen Portemonnaies und hoffe, dass niemand auf der Kellertreppe ausrutscht, sich das Bein bricht und uns verklagt. So weit, so stressig, so erwartbar. Ich bekomme meine Panik in den Griff, für eine Weile erscheint mir unser illegaler Club wieder wie eine super gute Idee.
In einer der Zigarettenpausen, die ich mir jede durchgestandene Stunde gönne, nimmt der Abend aber letztendlich seine beschissene Wendung: Wie sich vom Dancefloor zu mir herumspricht, hat ein Lokaljournalist unsere Adresse und ein Foto vom Hauseingang bei Twitter gepostet. Nicht so schlimm, könnte man denken, aber für uns war das der absolute Worst Case: Die Polizei der Kleinstadt, das wusste ich aus Erzählungen von Bekannten aus dem Nachtleben, soll größte Freude daran haben, illegale Clubs hochzunehmen, und ihre Betreiber den gerechten Strafen zuzuführen - also uns.
Die einzige Schelle, die ich im Leben verteilt habe, bereue ich bis heute
In meinem Kopf bin ich zu dem Zeitpunkt schon mit einem Fuß im Knast. Ich gehe durch, was noch alles passieren kann, auf was wir alles achten müssen. Dass wir völlig blauäugig waren, dass wir die Sache himmelhoch unterschätzt haben, werfe ich mir vor und versuche die Panik nicht die Überhand gewinnen zu lassen. Ich tausche mit Karl einen Blick, der an der Bar in Arbeit versinkt. Auch er weiß, was wir uns da angetan haben. Aber er muss weitermachen und ich muss das auch. Ich muss den Journalisten ausfindig machen.
Ich will hier einmal klarstellen, dass ich von Gewalt wenig halte. Die allererste und auch einzige Schelle, die ich im Leben verteilt habe, bereue ich bis heute. In dieser Nacht damals muss ich zugeben, dass ich alle Möglichkeiten in Betracht gezogen habe, um meine Freund*innen und unsere romantische Vorstellung der kleinen Utopie in unserem Keller gegen diesen Idioten von einem Lokaljournalisten zu verteidigen. Entrüstet mache ich mich auf die Suche.
Ich bin damals also zu vielem bereit, als ich ihn vor dem Haus mit seinem Tocotronic-Shirt erspähe. Und es hätte wohl auch nur eine dumme Antwort gefehlt, und ich hätte mich nicht mehr beherrschen können. Schlau wie er ist, versteht er aber sofort, was ich von ihm will - und mit wem er sich heute Nacht nicht anlegen sollte. Puh, Glück gehabt. Er löscht den Tweet und ich muss nicht in einen Faustkampf, den ich zweifellos verlieren würde.
Viele, viele Stunden und Biere später, haben wir die Sache hinter uns. Irgendwann ist dann auch der letzte Pillenrausch abgeebbt, irgendwann ist auch der letzte Hardcore-Raver müde. Die Polizei kommt nicht, der Krankenwagen auch nicht – und doch hinterlässt die Panik und Wut des Abends einen bittereren Nachgeschmack, als ich mir von unserem „Grand Opening“ erhofft hatte. Mir tun die Füße weh, ich höre nichts mehr. Nichts. Trotzdem, auch wenn es brutal anstrengend war, schön war es schon auch.
Uns ist klar, dass wir am Ende vor allem Glück hatten. Selbst die aserbaidschanische Botschaft hat nichts mitbekommen, auch wenn sie ihre Eingangstür von Fremdurin reinigen lassen müsste. Um den anderen Urin kümmern wir uns in der Morgendämmerung selbst. Die Wannen in den Dixies schwappen über. Gemeinsam schleppen wir die Bottiche, die uns die Firma bereitgestellt hat, hinter das Haus. Mit dem Geld aus der Abendkasse holen wir uns später im Bahnhofskiosk Schoko-Croissants. Um uns strömen die ersten Pendler aus der Halle in ihre Büros und Fabriken. Ich bin heilfroh, da nicht dazuzugehören.