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Horror-Nebenjob: Während der Wiesn-Zeit als Trachtenverkäuferin arbeiten
Betrunkene Kund*innen kommen in München zur Oktoberfest-Zeit schon mal vor.
Manche Jobs sind schlimmer als andere – in dieser Serie erzählen wir von unseren und euren schrägsten Nebenjobs. Diese Geschichte hat Anna erlebt und uns am Telefon erzählt.
Horror-Stufe: 7 von 10
Chef*innen: Irgendwie nett, aber irgendwie auch übergriffig.
Bezahlung: Mindestlohn (um die neun Euro)
Erlernte Skills: Brüste in Dirndln zurechtrücken, alle Wiesnhits auswendig können und Prosecco einschenken.
„Ich war 19 und wollte nach dem Abi Geld verdienen. Meine Freundin hatte im Schaufenster eines Trachtenladens in der Münchner Innenstadt einen Aushang gesehen: Verkäuferinnen auf Minijob-Basis gesucht. Eine Woche später bin ich zu dem Laden – einer von der trashigen Sorte – und wurde sofort eingestellt, denn als Bayerin und leidenschaftliche Wiesngängerin kannte ich mich mit Trachten einigermaßen gut aus. Meine Aufgabe war es, die Trachten zu sortieren, aufzuhängen, aufzuräumen und zu verkaufen. Das ging am besten, indem man den Leuten auf Bayrisch erzählte, wie gut ihnen die Tracht stehe.
Klingt erstmal nach einem relativ normalen Verkaufsjob. Ich begann den Job aber während des Oktoberfests. Das bedeutete zwei Wochen am Stück arbeiten, zehn Stunden am Tag und zwar ohne Pause. Klar, zur Wiesn kommen jährlich, wenn nicht gerade eine Pandemie ausgebrochen ist, Millionen Menschen in die Stadt – und die meisten davon wollen dann auch das volle Programm mit Trachten.
Die Atmosphäre im Trachtenladen war der im Bierzelt dabei nicht unähnlich. Zum einen liefen den ganzen Tag Wiesnkracher auf voller Lautstärke, von ,10 Meter Geh’n’ bis zum Fliegersong. Zum anderen war der Laden natürlich immer rappelvoll, vor allem mit betrunkenen Touris, die kurz vor knapp noch Dirndl und Lederhosen brauchten. Das Ganze war deshalb relativ stressig. Besonders anstrengend waren die besoffenen Männergruppen. Es wurde viel rumgepöbelt, einmal hat ein Kunde hackedicht in eine Umkleidekabine gepinkelt.
Es wurde dennoch regelmäßig Sekt an die Kundschaft ausgeschenkt, um sie noch weiter in Schunkel- und Kauf-Laune zu versetzen. Sekt gab es auch für uns Verkäufer*innen. Um zwölf Uhr mittags bekamen wir von den Chef*innen das erste Glas mit dem Argument, das bringe Energie. Die Sekt-Süffelei wurde allerdings irgendwann von offizieller Stelle unterbunden, schließlich hatte der Laden gar keine Lizenz, um Alkohol auszuschenken.
Anzügliche Witze galten als bayerische Herzlichkeit
Während der Arbeit wurden wir ständig angemacht und nach unserer Nummer gefragt. Wir hatten natürlich auch Tracht an, das hat die Lage nicht verbessert. Von männlichen Kunden habe ich öfter mal einen Klaps auf den Hintern bekommen, was mir damals nicht mal so schlimm vorkam, im Nachhinein finde ich es furchtbar.
Anzüglichkeiten waren ohnehin auch vonseiten der hauptberuflichen Verkäufer*innen sehr präsent. Von Sprüchen über Männer in ihren Lederhosen wie ,Boah, der füllt die aber auch richtig aus’, bis hin zu Kommentaren über den ,Vorbau der Mädels‘. Das ganze Verhalten wurde dann mit ,Wir sind ja bayerisch und Freunde’ abgetan.
Die bayerische Herzlichkeit ging mir aber oft auch etwas zu weit. Besonders, weil die Vorgesetzten zwar nett taten und uns Sekt spendierten, aber eigentlich sehr streng waren. Sie machten uns permanent Druck, mehr zu arbeiten: Wir sollten für den Job ,alles geben’. Daher wurden wir Teilzeit-Verkäufer*innen auch zusammengestaucht, wenn wir vermeintlich zu viel rumstanden, uns unterhielten oder nicht ordentlich genug waren. Eine Schicht abzusagen, galt als absolutes No-Go. Eine Kollegin von mir musste aber zur Beerdigung ihres Opas und wagte es, sich freizunehmen. In der Chefetage war man empört, schließlich sei der Opa ,doch eh schon tot’.
Mein schlimmster Moment war dann am letzten Wiesntag. Nachdem ich zwei Wochen durchgearbeitet hatte, saß ich einfach nur noch heulend im Laden. Das High der Wiesnstimmung im Laden war vorbei und ich merkte erst jetzt, dass ich komplett am Ende war. Durch den Job bin ich gegenüber Menschen, die mit Kunden arbeiten sehr, sehr nachsichtig geworden.“