Süddeutsche Zeitung

Unsere Kernprodukte

Im Fokus

Partnerangebote

Möchten Sie in unseren Produkten und Services Anzeigen inserieren oder verwalten?

Anzeige inserieren

Möchten Sie unsere Texte nach­drucken, ver­vielfältigen oder öffent­lich zugänglich machen?

Nutzungsrechte erwerben

Horror-Nebenjob: Auf der Suche nach dem Loch im Staubschutzbeutel

Illustration: Daniela Rudolf-Lübke

Teile diesen Beitrag mit Anderen:

Manche Jobs sind schlimmer als andere – in dieser Serie erzählen wir von unseren und euren schrägsten  Nebenjobs. Diese Geschichte hat unser Leser Malte erlebt und uns am Telefon erzählt. 

Horror-Stufe: 7 von 10.

Chef: Ein Vorarbeiter, der einen meistens in Ruhe gelassen hat.

Bezahlung: Mindestlohn, damals knapp acht Euro die Stunde.

Erlernte Skills: Blitzschnell Fehler finden.

„Die Suche nach ,der Nadel im Heuhaufen‘ ist eine Redewendung. In meinem Studentenjob war es acht Stunden am Stück eintönige Realität. Vielleicht klingt meine Tätigkeit wie Witz oder zumindest wie irgendwas von Franz Kafka: Ich verdiente mein Geld als Staubschutzbeutel-Kontrolleur. 

Immer in meinen Semesterferien fuhr ich zurück nach Schleswig-Holstein, in meine Heimat, und arbeitete sechs Wochen lang in der kastenförmigen Lagerhalle einer Vertriebsfirma für Medizinprodukte, um mein Studium in Aachen zu finanzieren. Mein Arbeitgeber verdiente sein Geld damit, Medizinprodukte einzukaufen, sie zu sortieren und auszuliefern. Wer glaubt, dass in so einer Logistikfirma vieles automatisch und mit Maschinen funktioniert, liegt falsch. Für viele Aufgaben braucht es Leute wie mich, die kein Problem damit haben, stupide jeden Tag dasselbe zu tun. 

Und damit kommen wir zu meiner Aufgabe: Ein wichtiges Produkt der Firma waren die sogenannten Staubschutzbeutel. Das sind durchsichtige Tüten aus Kunststoff, etwa 60 mal 30 Zentimeter groß. Was man dort hinein steckt, zum Beispiel Medikamente, ist sicher und steril verstaut, wenn die Beutel fehlerfrei produziert wurden. Wenn! Denn weil man sich darauf nicht verlassen wollte, kam ich ins Spiel. 

Tag für Tag öffnete ich große Pakete, in denen acht kleinere Pakete verpackt waren, in denen wiederum hundert Staubschutzbeutel verpackt waren. Ich setzte mich auf meinem Bürostuhl an einem erhöhten Tisch und legte einen Beutel nach dem anderen vor mir aus. Dann begann die eigentliche Arbeit: die Suche nach der Nadel im Heuhaufen. Ich schaute mir jeden einzelnen Beutel von oben nach unten, von links nach rechts an und suchte nach Fehlern in der Verarbeitung. Meist handelte es sich dabei um winzig kleine Löcher in den Beuteln, die tatsächlich selten größer waren als der Kopf einer Nadel und die man an ihrer schwarzen Farbe erkannte. Ich habe keine Ahnung, wie häufig ein Beutel fehlerhaft war. Vielleicht war es jeder zehnte? Oder jeder hundertste? Mir war es irgendwann einfach egal, so monoton war diese Arbeit. War ich mit der Kontrolle eines Hunderter-Packs fertig, steckte ich die Beutel wieder zurück in einen Karton, faltete ihn zu und klebte Paketband darauf. Dann ging es wieder von vorne los.

„Das Gefühl, die Welt ein bisschen steriler zu machen, fühlte sich nicht besonders heldenhaft an“

Manchmal saß ich da, habe von außen auf mich geschaut und mich gefragt: Was mache ich hier eigentlich? Wie bin ich hier gelandet? Ich habe Kommunikations- und Sprachwissenschaften studiert, jetzt suche ich nach Löchern in Staubschutzbeuteln. Hatte ich einmal ein Loch gefunden, war das keine wirkliche Genugtuung wie beim Finden des Autoschlüssels, den man lange gesucht hat. Es ging ja direkt weiter mit der nächsten Suche. Auch das Gefühl, die Welt mit der eigenen Arbeit ein bisschen steriler zu machen, fühlte sich nicht besonders heldenhaft an. 

Was aber stimmt: Man muss dafür gemacht sein, an so einer Art Fließband zu stehen, bei dem die sich immer wiederholende Aufgabe niemals abgeschlossen ist. Ich sah ja nie das Ergebnis meiner Arbeit. Keinen fertig gebauten Tisch, kein abgeschlossenes Projekt, keine dankbare, lächelnde Kundin. Stattdessen nur Beutel, Beutel, Beutel. Hunderte, tausende, was weiß ich.

Das Lager der Kartons mit den Staubschutzbeuteln war niemals leer, es kamen ständig neue Kartons nach. Ich fühlte mich wie in einem Hamsterrad. Dazu kam irgendwann auch die körperliche Belastung, was eher an der Eintönigkeit als an der Schwere der Arbeit lag. Meine Kolleginnen, die hier schon länger gearbeitet haben, hatten Schmerzen im Rücken und Nacken. Ich habe großen Respekt vor den Leuten, die das über Jahre machen. Weil ich weiß, wie eintönig dieser Job ist, empfinde ich seitdem mehr Anerkennung für Menschen, die so eine Arbeit ihr ganzes Leben lang machen.

Und es gab ja auch Gründe dafür, dass ich nach den ersten sechs Wochen Semesterferien-Arbeit nicht gekündigt habe. Sondern auch im zweiten, im dritten und im vierten Jahr wiederkam. Die Kollegen waren sehr witzig und lustig. So einen auf den ersten Blick sinnlosen Job muss man mit Humor nehmen, also plauderten wir miteinander und machten Scherze. Und ich konnte bei der Arbeit wirklich gut abschalten. In der Stadtbibliothek habe ich mir immer wieder Hörbücher ausgeliehen, die ich dann in aller Ruhe während meiner Staubschutzbeutel-Arbeit anhören konnte. Nur ganz selten wurde von Vorgesetzten kontrolliert, ob wir schnell genug arbeiten. Also konnte ich meinem eigenen Tempo nachgehen. Passenderweise kann ich mich jetzt, sechs Jahre nachdem ich den Job mit Ende meines Studiums gekündigt habe, an kein einziges Hörbuch, das ich damals gehört habe, mehr erinnern. Vielleicht frisst die Monotonie auch die Erinnerung auf.“

  • teilen
  • schließen