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Horror-Nebenjob: Das betrügerische Call-Center

Ferienjobs können furchtbar sein – in dieser Serie erzählen wir davon.
Illustration: Daniela Rudolf-Lübke

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Horrorstufe: 7 von 10

Chef*in: namenloser, hagerer Mann mit dicken Brillengläsern

Bezahlung: karges Grundgehalt plus Provision für abgeschlossene Verträge

Erlernte Skills: nie mehr das schlechte Gewissen ignorieren

Ich kann nicht gut kellnern und das wurde mir zum Verhängnis. Während meine Freundinnen in Cafés und Bars bedienten – wo wirklich immer, immer Aushilfen gesucht wurden – musste ich mir in den Sommerferien andere Jobs suchen. Den im Callcenter hatte ich über eine Anzeige in der Lokalzeitung gefunden und dachte: „Telefonieren kann ich!“ 

Mein Chef war ein hagerer Herr mit dicken Kurzsicht-Brillengläsern und dadurch stark vergrößerten Augen, der mit seinem Callcenter für verschiedene Kunden arbeitete. An meinem ersten Tag erklärte er mir, dass sie dort aktuell Lotterie-Verträge für ein Glücksspielunternehmen verkauften. Mein Arbeitsplatz war ein Tisch mit Computer, Telefon und Headset in einem kahlen Raum mit dunklem Teppich und weiteren Arbeitsplätzen, an denen meine Callcenter-Kolleg*innen saßen. Per Zufall musste ich Menschen anrufen, deren Namen, Adressen und Telefonnummern in einer Datenbank gespeichert waren. Und wenn jemand abnahm, musste ich versuchen, diesem Menschen den besagten Lotto-Vertrag aufzuquatschen. Für das Verkaufsgespräch gab es ein „Skript“, von dem man keinesfalls abweichen durfte und das alles genau vorgab: über die Begrüßung, den Smalltalk (gerne übers Wetter, klar, oder über den Wohnort – immerhin hatte man ja die Adresse vorliegen!) und die Erläuterungen des Vertrags und der Spielweise (irgendwas mit Tippgemeinschaft, drei Ziehungen im Monat und hohen Gewinnchancen) bis hin zu Gegenargumenten auf Ausweichversuche des*r Gesprächspartner*in. 

Ich merkte schnell, dass dieser Vertrag eine fiese Mogelpackung war

Ich vermute, dass alles, was je eine*r Angerufene*r versucht hat, um freundlich aus so einer Telefonverkaufs-Situation rauszukommen, hier schonmal vorgekommen war, und man das Skript gut daran angepasst hatte. Zum Schluss stand noch der Hinweis: Wir legen nur auf, wenn wir einen Vertrag abgeschlossen haben oder das Gegenüber unfreundlich wird. Und auch der Chef machte mir unmissverständlich klar: Egal, was am anderen Ende gesagt werde, ich dürfe das Gespräch auf keinen Fall beenden, außer, ich schaffte es, die Bankdaten der Person aufzunehmen, also einen Vertrag mit ihr abzuschließen. 

Dadurch gab es leider nur zwei Arten, wie Telefonate enden konnten: Entweder, jemand war sauer – oder jemand war betrogen worden. Denn dass dieser viel zu teure Vertrag (ich glaube, es waren fast 20 Euro in der Woche) eine fiese Mogelpackung war, merkte ich schnell, als ich das Unternehmen nach Feierabend einfach mal googelte. Es gab zahlreiche Beschwerden in Foren: Man komme aus dem Vertrag nicht mehr raus, das mit den hohen Gewinnchancen sei eine Lüge, die Daten irgendwo illegal gekauft und überhaupt sei dieser ganze Telefonverkauf ein rechtlicher Graubereich und gehöre verboten! Mein Gewissen war schlecht, aber leider war auch mein Geldbeutel sehr leer, also ging ich weiter hin.

Wenn ich doch mal einen Vertrag abschloss, sank mir mein Herz in die Hose

Sagen wir so: Ich kann weniger gut telefonieren, als ich damals dachte. Ich war nicht gut in dem Job. Ich war sogar richtig, richtig schlecht. Ich brachte fast keine Vertragsabschlüsse rein, was auch deswegen frustrierend war, weil für jeden abgeschlossenen Vertrag eine Provision gezahlt wurde. Vor jeder Schicht stellte der Chef vor seiner Horde braver Telefonist*innen außerdem eine Packung Pralinen auf, als „Motivation“. Wer am meisten Verträge abschloss, gewann sie. Ich gewann sie nie. Am häufigsten durfte ein Typ sie mit nach Hause nehmen, der sich immer die Hose in seine Tennissocken steckte und bei dem ich mir sicher bin, dass er sich oft nicht an das Skript hielt. Ich glaube nämlich gehört zu haben, dass er zwar den Preis nannte, aber das „in der Woche“ nicht dazu. Die Gesprächspartner*innen gingen dann sicher davon aus, dass der Preis einmalig zu zahlen sei oder monatlich, aber sicher nicht wöchentlich. Über diese Abweichung vom Skript beschwerte sich der Chef, der bei offener Tür nebenan in seinem Büro saß, allerdings nie. 

Und während Tennissocke einen Vertrag nach dem anderen abschloss, musste ich mich von Menschen am Telefon anschreien und beschimpfen lassen („Mein Mann ist gerade gestorben, was denken Sie sich eigentlich??”, „Woher haben Sie meine Nummer??“ „Warum prostituieren Sie sich für so etwas??“) – und zwar zurecht. Ich verstand sie jedes Mal. Ich war auf ihrer Seite, nicht auf der meines Chefs oder dieses Unternehmens. Darum gab ich fast immer nach, verabschiedete mich freundlich, und legte auf. Das war natürlich streng verboten. Und wenn ich doch mal einen Vertrag abschloss, sank mir mein Herz in die Hose. Ich habe bis heute ein schlechtes Gewissen, wenn ich an die junge Frau denke, die ich offensichtlich aus dem Bett geklingelt hatte und die mir verschlafen ihre Bankdaten durchgab.

Mein Chef war so verärgert über meine schlechte Performance, dass er schließlich einen Vormittag lang hinter mir stand und meine Arbeit überwachte. Als eine Frau zustimmte, einen Vertrag abzuschließen und ich sie nach ihrer Bankverbindung fragte, den Cursor meiner Maus schon in dem entsprechenden Feld auf dem Computerbildschirm, zog sie zurück – ihre Bankdaten wollte sie dann doch nicht rausgeben (verständlich!). Ich versuchte gar nicht erst, sie zu zwingen, sondern verabschiedete mich. Und mein Chef? Der rastete aus. Vor allen anderen Kolleg*innen, die sich zum Teil gerade in Gesprächen befanden, schrie er mich an, wie dumm ich sei, dass man fürs Verkaufen schon etwas Geschick mitbringen müsse, dass ich nach der Schicht in sein Büro kommen solle. Und dort hat er mich dann gefeuert. 

Das war bisher die einzige Kündigung in meinem Leben und rückblickend bin ich fast ein bisschen stolz darauf. Denn als ich ein paar Jahre später noch einmal danach googelte, stieß ich nicht mehr nur auf Foren-Beiträge über das Glücksspielunternehmen, sondern auch auf Medienberichte, unter anderem im Tagesspiegel und der Süddeutschen Zeitung: Gegen das Unternehmen wurde wegen Betrugsverdachts, illegal gehandelter Kundendaten und Steuerhinterziehung in zweistelliger Millionenhöhe ermittelt. Außerdem seien bei den Kund*innen ohne deren Einwilligung Geldbeträge abgebucht worden. Und, ich zitiere: „Auch die Call Center seien im Visier.“ Ich hoffe, jemand hat meinen ehemaligen Chef ordentlich angeschrien.

Hattest du auch mal einen Ferienjob, der richtig schlimm oder absurd war? Dann erzähl uns gern davon und schreib eine kurze Mail mit ein paar Zeilen zum Job und deinen Erfahrungen an info@jetzt.de! Wir melden uns dann bei dir.

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