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Horror-Nachbar:innen: Die reichen Schnorrer
Manche Nachbar:innen sind schlimmer als andere, in unserer neuen Kolumne erzählen wir von ihnen. Unser Autor lernte durch die Nachbarn seiner Eltern fortgeschrittene Taktiken des Schnorrens kennen.
Wohnatmosphäre: Gratismentalität im Jugendstil
Geschlecht und Alter der Nachbarn: Zwei Eltern Mitte 30, drei Unterhändler im Vorschulalter
Horror-Stufe: 8 von 10
Nachdem sich die neuen Nachbarn bei uns vorgestellt hatten, verzog meine Mutter ihr Gesicht, als hätte man sie beleidigt. Ich verstand ihre Reaktion nicht, schließlich machten sie einen freundlichen und guten ersten Eindruck.
Eine junge, wohlhabende Familie mit drei Kindern im Vorschulalter. Der Mann, stämmig und untersetzt, trug teure Hemden und Anzughosen. Seine Frau schminkte sich auffällig und hatte eine Vorliebe für Blazer und strenge, knielange Röcke, ausstaffiert mit Gold- und Perlenschmuck. Auch die drei Kinder sahen immer so aus, als hätten sie gleich einen Termin mit ihrem Finanzberater oder wären unterwegs zu einer Hochzeit. Casual gab es in dieser Familie nicht – selbst beim Umzug trugen sie schicke Outfits.
Offenbar ahnte meine Mutter jedoch – ganz im Gegensatz zu mir –, dass es unter der schnieken Oberfläche brodelte. Es sollte keine zwei Wochen dauern, bis auch ich begriff: Es kommen unruhige Zeiten auf uns zu.
Meine Eltern und ich wohnten im obersten Stockwerk eines dreistöckigen Altbaus in der Wuppertaler Innenstadt. Das Jugendstil-Haus war von der ehemaligen Besitzerin derart vernachlässigt worden, dass die mittlere der drei Wohnungen mehr als ein Jahrzehnt leer stand. Irgendwann wurde das Gebäude an einen zwielichtigen Bauunternehmer verkauft, der die Wohnung wieder herrichtete und prompt vermietete.
Der Horror begann unscheinbar. Einige Tage nach dem Einzug der Familie klingelte es an der Tür. Da standen die drei Kids ordentlich aufgereiht und fragten höflich nach Toilettenpapier. „Wird schon seinen Grund haben“, dachte ich und gab ihnen eine Rolle. Etwas überrumpelt von der Nachwuchs-Delegation fiel mir nicht auf, dass ein normaler Werktag war. Der nächste Supermarkt lag am Ende der Straße, keine fünf Minuten Fußweg entfernt.
Irgendwann wurden die Forderungen dreister
Wie sich herausstellte, ging es jedoch nicht um einen akuten Mangel. Nicht an diesem Tag und auch nicht an den anderen. Das Dreiergespann vorzuschicken, war eine perfide Schnorrtaktik, die die Eltern immer wieder einsetzten.
Die Besuche häuften sich. Mal war es Butter, mal Salz, Dinge, nach denen man seine Nachbarn schon mal fragt. Doch irgendwann wurden die Forderungen dreister: Sie baten um Töpfe, Pfannen und Mixer, als hätten sie selbst bloß einen Herd in ihrer Küche. Ständig klingelte es an der Tür. Die anderen Nachbarn berichteten von ähnlichen Anfragen.
Im Nebenhaus war eine Schneiderei, die eine ältere türkische Dame betrieb. Erbost erzählte sie meiner Mutter, dass die neue Nachbarin ein Bügeleisen von ihr verlangt habe, und zwar mit einem Tonus, als würde ein Kaiser Tribut von seinen Vasallen fordern. Woraufhin die Schneiderin sie „manuell“ aus ihrem Laden entfernte. Ein handfester Eklat, der die Nachbarschaft aufwühlte.
Die neuen Nachbarn hatten sich hingegen eingelebt. Das Treppenhaus wurde dreckiger, Ruhe immer seltener. Täglich kam Geschrei aus der Wohnung. Nach außen hin wurde jedoch der Schein einer harmonischen Familie gewahrt. Bis zur großen Einweihungsparty.
Im Treppenhaus stapelten sich die Schuhe, vor der Haustür hochpreisige Luxuswagen. Auf unserer Straße standen an diesem Abend mehr PS als am Nürburgring in einem Jahr. Die Party fand besonders rücksichtsvoll an einem Mittwoch statt. Der Krach war unerträglich. Jede Studi-Party hätte dagegen einpacken können. Die Polizei schaute an dem Abend mehrfach vorbei. Erst wegen Lärmbelästigung, später gleich mit mehreren Einsatzwagen. Gegen Mitternacht kam es in der 80-Quadratmeterwohnung zu einer Schlägerei, offenbar mit reger Beteiligung. Die Blutflecken im Treppenhaus machte meine Mutter weg, tagelang hatte sich niemand erbarmt.
Bereits nach einigen Wochen war die ganze Straße genervt von den neuen Nachbarn. Alle paar Tage kam die Polizei wegen Ruhestörung – Partys wurden zwar keine mehr gefeiert, dafür wurde weiterhin gestritten. Von der gespielten Höflichkeit war nicht mehr viel übrig. Die kam immer nur dann durch, wenn die Nachbarin irgendwas brauchte, und schlug in giftige Blicke und Anfeindungen um, wenn wir ihren Wünschen nicht nachkamen. Meine Mutter hatte die Nachbarschaftshilfe schon früh eingestellt, dennoch versuchen sie es immer wieder.
Mutter platzte der Kragen: „Keiner macht die Tür auf!“
Wenige Wochen nach der Party war dann die Geduld meiner Mutter endgültig am Ende. Mitten in der Nacht klingelte es plötzlich Sturm. Damals mussten mein Vater und ich um fünf Uhr morgens am Band stehen, meine Mutter musste um acht auf der Arbeit sein, und meine Schwester zur Grundschule. Erholsamer Schlaf war in meiner Familie ein seltenes und wertvolles Gut.
Nachdem sich die erste Panik nach dem jähen Aufwachen gelegt hatte, schaute ich aus dem Fenster und sah unsere schicken Nachbarn winken – Schlüssel vergessen. Mutter platzte der Kragen: „Keiner macht die Tür auf!“ Sie ging ans Fenster und schrie die Nachbarin an: Was würde ihr einfallen, solle sie doch einen Schlüsseldienst holen. Ausgeschmückt mit der einen oder anderen Profanität. Die Nachbarin schrie zurück, aber das hörte meine Mutter nicht mehr. Sie hatte das Fenster geschlossen und meinen Vater angewiesen, die Sicherung der Klingel rauszunehmen. Anschließend ging sie seelenruhig ins Bett. Andere Nachbarn riefen derweil wieder mal die Polizei.
Nach einem halben Jahr sah sich der Hausvermieter gezwungen, die Familie rauszuschmeißen. Allerdings ging auch das natürlich nicht ohne Streit – wie sich herausstellte, war der Eigentümer der Bruder unserer lieben Nachbarin.