Süddeutsche Zeitung

Unsere Kernprodukte

Im Fokus

Partnerangebote

Möchten Sie in unseren Produkten und Services Anzeigen inserieren oder verwalten?

Anzeige inserieren

Möchten Sie unsere Texte nach­drucken, ver­vielfältigen oder öffent­lich zugänglich machen?

Nutzungsrechte erwerben

Horror-Mitfahrgelegenheit: Der wahnsinnige Fahrlehrersohn

Illustration: jetzt

Teile diesen Beitrag mit Anderen:

Die Strecke: Von Hüllhorst nach Osnabrück

Der Fahrer: Mark, Fahrlehrersohn

Horrorstufe: 8 von 10

Es ist bereits einige Jahre her, da war ich in einer Band. Ich hatte stets davon geträumt, in einer Band zu sein, mein Problem war bloß immer: Ich kann kein einziges Instrument spielen – bis heute nicht. Damals blieb für mich daher also nur eine Funktion innerhalb des Bandgefüges übrig: Sänger. Mein Pech war: Singen konnte ich auch nicht. Mein Glück war: Es handelte sich um eine Death-Metal-Band. Wie nah ich als Teil dieser Band einmal dem Tod kommen sollte, das sollte ich an einem brütend heißen Sommertag am eigenen Leib erfahren.

Unsere Musik war immer auf fünf Bandmitglieder ausgelegt: Zwei Gitarristen, einen Drummer, einen Sänger, einen Bassisten. Doch unser gesamtes Bestehen hindurch hatten wir stets das Problem, jemand geeigneten am Bass zu finden. Unser erster Bassist tauschte irgendwann Musik- gegen Drogenkarriere, der zweite verließ uns wegen einer Frau (der Klassiker) und der dritte wegen eines Auslandssemesters. Danach waren wir ständig auf der Suche, hatten monatlich mindestens zwei bis drei Anwärter bei uns im Proberaum, doch die meisten davon disqualifizierten sich häufig schon, bevor sie ihr Instrument überhaupt ausgepackt hatten. Ein Bewerber jedoch gefiel uns auf Anhieb: Mark. Er war schlagfertig, teilte unsere Art des Humors und beherrschte dann auch noch dermaßen gut sein Instrument, dass wir anderen uns nur ungläubig ansahen und unser Glück nicht fassen konnten: Endlich hatten wir einen passenden Bassisten gefunden. Doch das Glücksgefühl sollte nicht lange anhalten.

Als wir mit der ersten Jam-Session fertig waren, besprachen wir mit Mark bereits die nächsten Probe- und kommenden Auftrittstermine. Mark wohnte zwar 50 Kilometer von uns entfernt in einer etwas größeren Stadt, besaß jedoch ein Auto und versicherte uns, dass die Fahrerei kein Problem für ihn sei. Sein Vater sei Fahrlehrer, verriet er uns, deshalb fahre er nicht nur gern, das Fahren läge ihm auch im Blut. Perfekt, dachten wir, zumal er einen alten Kombi mit entsprechend großem Kofferraum hatte, den wir für den Transport unsers Equipments zu Auftritten gut gebrauchen konnten. Weil wir anderen nach der Probe noch in einen Plattenladen wollten und dieser für Mark auf seinem Nachhauseweg lag, bot er an, uns in seinem Auto mitzunehmen. Gesagt, getan. Doch schon als wir vom Parkplatz unseres Proberaums auf die Straße fuhren, bereuten wir unsere Entscheidung.

Wir waren uns sicher: Das war’s jetzt

Mark fuhr wie ein Wahnsinniger. Bereits in der ersten Kurve schnitt er einen Gefahrenguttransporter, der uns daraufhin minutenlang hinterherhupte. Mark quittierte die Reaktion des Truckers auf seinen Fahrstil nur mit einem süffisanten Lachen und einem dummen Spruch – und drückte umso mehr aufs Gas. Wir saßen alle da wie gelähmt. Kreidebleich. Schwitzend. Starr vor Angst. Wir sahen nicht nur Autos, Motorräder und Straßenschilder, sondern unser gesamtes Leben an uns vorbeiziehen. Wir waren uns sicher: Das war’s jetzt. Schluss. Aus. Vorbei.

Als Mark bei einem halsbrecherischen Überholmanöver fast die Kontrolle über seinen Wagen verlor und nur haarscharf an einem Leitpfosten vorbeischrammte, krampften wir uns an alle zur Verfügung stehenden Lehnen und Griffe – und fanden endlich unsere Fassung wieder. Wir kreischten, brüllten ihn an! Befahlen ihm, sofort langsamer zu fahren. Anzuhalten. Schrien, dass er uns doch umbringen wolle. Aber Mark winkte nur ab. Wir sollten uns nicht so anstellen. Er habe uns doch gesagt, dass sein Vater Fahrlehrer sei. Er wisse schon, was er da tue. Doch das tat er nicht. Im Gegenteil. Wir befürchteten: Diese Fahrt bringt uns nicht zum ersehnten Plattenladen, sondern auf den Friedhof.

Wir flehten ihn an, dass er doch bitte anhalten solle, aber darauf reagierte er gar nicht

Mit Hundert Sachen krachte er in die Ortschaften, außerhalb davon legte er noch mal einen Zahn zu. Dabei erzählte er parallel irgendwelche belanglosen Geschichten, denen wir vor Todesangst überhaupt nicht folgen konnten. Auch der Umstand, dass er sich beim Sprechen gerne mal zu uns umdrehte, trieb uns mehr und mehr Angstschweißperlen auf die Stirn. Wir flehten ihn an, dass er doch bitte anhalten solle, aber darauf reagierte er gar nicht. Es war, als würde man auf einen Stein einreden, der ignorant und unverrückbar schwer auf dem Gaspedal lag.

Wie wir diese wilde halbstündige Amoktour überlebt haben, ist uns bis heute ein Rätsel – aber wir sind noch nie so schnell aus einem Auto gesprungen. Am liebsten hätten wir ihn aus dem Wagen gezerrt und zur Vernunft geprügelt, aber Mark winkte nur wortlos und preschte davon. Für die Band haben wir ihm weder abgesagt, noch hat er sich jemals wieder bei uns gemeldet. Ihm war wohl klar, dass er sich mit seiner Amokaktion hinauskatapultiert hatte.

Tatsächlich haben wir bis zur unserer Auflösung dann auch keinen regulären Bassisten mehr gefunden. Fest steht jedoch: Dieser Höllentrip hat uns als Band enger zusammengeschweißt. Und: Als Sänger einer Death-Metal-Band wusste ich nun endlich, was es heißt, dem Tode nah zu sein. Mehr Authentizität geht nicht.

  • teilen
  • schließen