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Horror-Date: Die Entzauberung der Fee

Illustration: Daniela Rudolf-Lübke

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Manche Dates sind schlimmer als andere, in dieser Serie erzählen wir davon. Diesmal ist unser Autor erst begeistert – und merkt dann während des Dates, dass er sich auf das Treffen lieber nicht hätte einlassen sollen. 

Datingsituation: Betrunken in der Kneipe 

Geschlecht und Alter des Dates: weiblich, Mitte 20  

Vibe des Dates: Wer ist diese Frau?   

Horrorstufe: 6/10

Auf einer Faschingsparty sollte man seinen Sinnen misstrauen. Die schöne Piratin, mit der du gerade tanzt, könnte im echten Leben eine gelangweilte Buchhalterin sein, und der gut aussehende Polizist, der dir einen Drink ausgeben will, Politikstudent im zehnten Semester. Jeder Flirt läuft unter erschwerten Bedingungen ab: betrunken, verkleidet, unter Einfluss von Schlagermusik. Aber Spaß macht Fasching am Ende nur, wenn man loslässt und das eigene Misstrauen beiseiteschiebt. Vor drei Jahren habe ich genau das getan – bereut habe ich es etwa eine Woche später.  

Es war eine Nacht im Februar. Ich trug selbst zwar kein Kostüm, war dafür aber umringt von Popeye, Biene Maja und Pippi Langstrumpf. Im Partykeller war es furchtbar eng, die Hitze tropisch und der Boden so pappig, dass die Schuhe beim Tanzen am Boden kleben blieben. Aber Scheiß drauf, Malle ist nur einmal im Jahr! Oleeee, oleeee und schalalalaaaaaaa!  

Ich grölte also lautstark mit und es war auch völlig egal, dass ich gerade nicht auf Mallorca, sondern im stickigen Keller eines Münchner Studierendenwohnheims war. Im Moment hatte ich nur eine Sorge: Mein Bier war alle. Und der Weg durch die Menge glich einem Ringkampf, für den man mindestens einen schwarzen Gürtel in Judo benötigte. Als ich es trotzdem wagen wollte, tippte mir eine Fee mit rosa Perücke und silbernem Tutu auf die Schulter. Sie hielt mir eine halbvolle Bierflasche unter die Nase, in der rechten Hand hielt sie einen pinken Zauberstab. „Willst du?“ Ich nickte wie ferngesteuert und nahm einen großen Schluck.  

Was fragt man eine Fee? Ich entschied mich für: „Hey! Und was machst du so?“ Die Antwort ging im Partylärm unter. Zum Reden war es zu laut, zum Tanzen zu eng und klebrig, also tranken wir Bier und Schnaps. Es war, als ob wir uns schon immer kennen würden. Zum Abschied tauschten wir Nummern aus. „Wie heißt du nochmal?“ – „Heike“ (Name von der Redaktion geändert). Ein ungewöhnlicher Name für eine Fee.  

Sie sah jetzt nicht mehr wie eine Fee aus, sondern wie eine ganz normale Heike

Eine Woche später verabredeten wir uns vor einer Kneipe. Das Date begann mit einer Enttäuschung: Statt rosa Perücke, Tutu und Zauberstab trug Heike jetzt einen blonden Pferdeschwanz, ein schwarzes Minikleid und eine Handtasche aus Wildleder. Ihr neuer Look war nüchtern betrachtet keine Überraschung – wer geht schon im Faschings-Outfit in die Kneipe, wenn gerade kein Fasching ist? Aber irgendwie hatte sie mit ihrer Perücke auch ihren Charme abgelegt. Sie sah jetzt nicht mehr wie eine Fee aus, sondern – nun ja – eben wie eine ganz normale Heike.  

Wir umarmten uns zur Begrüßung. „Wollen wir reingehen?“, fragte sie mit überraschend schriller Stimme. Mir wurde klar, dass ich eine völlig Fremde datete. Eine Fremde, die ich nicht anziehend fand. Heike erzählte mir von ihrem Job (Bankkauffrau), ihrem Lebenstraum (Sabbatical in Australien) und ihrem Mitbewohner (unordentlich). Routiniert nickte ich mit dem Kopf und überlegte, wie das flache Gespräch an Tiefe gewinnen könnte. Vielleicht mit einer Runde Gin Tonic? Und tatsächlich: Mit jedem Schluck interessierte ich mich etwas mehr für Heikes Geschichten vom doofen Chef und von den Essgewohnheiten ihrer Katze.  

Und so tranken wir uns die Nacht und uns gegenseitig schön. Nach dem ersten Drink schaute ich Heike in die Augen und auf einmal erkannte ich sie wieder: die schöne Fee von der Faschingsparty. Zwar ohne Tutu und Zauberstab, aber Harry Potter trägt seinen Umhang schließlich auch nur zu besonderen Anlässen. Beim zweiten Drink spürte ich, wie Heikes Heels meine Beine berührten, beim dritten Getränk legte ich meinen Arm um ihre Schulter und beim vierten machten wir miteinander rum. Um zwei Uhr morgens fragte mich Heike, ob ich mit zu ihr wolle. Ich wollte. 

Eine Stunde später kamen wir mit der S-Bahn in einem Münchner Vorort an. Endstation: Provinz. Ich war inzwischen wieder genauso nüchtern wie die grauen Reihenhäuser in dem Ort. Wir betraten Heikes Haus. In ihrem Zimmer stand ein Himmelbett mit rosa Bettwäsche. Zwischen den Kissen lagen Plüschtiere. Wir küssten uns. Aber ich spürte keine Leidenschaft mehr, nur noch ein flaues Gefühl im Magen. Ich war wieder in der Realität angekommen – und die hatte eine Fahne und trug  für mein Empfinden viel zu süßes Parfum.  

Wir legten uns ins Bett. Während wir uns auszogen, fühlte ich mich, als würde ich ein Auto von der Fahrbahn steuern – und wäre unfähig auf die Bremse zu treten. Ich konnte Heike einfach nicht sagen, dass ich keine Lust hatte. Meine Angst vor der bedrückenden Stille nach der Abweisung war einfach zu groß. Auch, weil ich die Sorge hatte, dass sie von mir als Mann erwartete, immer Lust zu haben. Und eine Abfuhr für sie deswegen umso verletzender wäre. Also redete ich mir ein, dass es schon nicht so schlimm würde. Wurde es auch nicht. Doch wohl war mir weiterhin nicht bei der Sache. 

Nach ein paar Minuten überwand ich mich endlich. „Ich glaube, ich kann heute nicht.“ Sie senkte den Blick, wirkte genauso verletzt, wie ich befürchtet hatte. „Warum denn nicht?“ Ich schwieg. Die Wahrheit war zu hart, um sie auszusprechen: Ich stand einfach nicht auf sie. Und auch vier Cocktails hatten daran nichts ändern können.  

Am nächsten Morgen nahm ich die Bahn zurück nach München. Mit dröhnendem Kopf dachte ich über die gestrige Nacht nach: Ich hatte mich in eine Faschings-Fantasie verguckt und dabei meine wahren Gefühle ignoriert. Zum Glück stand Aschermittwoch vor der Tür. Zeit, zur Ruhe zu kommen – und endlich wieder auf mein Bauchgefühl zu hören.  

   

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