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Horror-Date: Die aufgeregten Elfjährigen

Illustrartion: Daniela Rudolf-Lübke

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Dating-Situation: Nachmittags auf dem Sofa mit Fürst-Pückler-Eis

Geschlecht, Alter und Vibe des Dates: weiblich, elf, eins von den „coolen“ Mädchen

Horrorstufe: 4 von 10

Als ich jung war – und ich spreche hier von meinem elften Lebensjahr – bestand meine Vorstellung von der Zukunft aus Filmszenen. Ich war mir sicher, dass ich mich eines Tages nur noch in geschliffenen Dialogen unterhalten würde. Dass ich zusammen mit einer wilden Lady in einem Cabrio an der Côte d’Azur entlangbrausen würde. Dass ich, eine Zigarette unter dem Sternenhimmel ferner Länder rauchend, tiefe Einsichten in das Wesen der Welt haben würde. Und vor allem würde ich kompromisslos lieben.

Die Kindheit war nur ein unwichtiger Vorzustand vor diesem eigentlichen, szenischen Leben, das ich mir ausmalte. Und das jederzeit einsetzen konnte. Aber ich hatte keine Eile, der schillernde Hauptdarsteller meines eigenen Blockbusters zu werden. Früher oder später würde das Erwachsenenleben mit all seiner Pracht über mich hereinbrechen. Trotzdem war ich überrascht, als es dann soweit war. Die Zeichen waren unmissverständlich, denn: Ich hatte auf einmal eine Frau an meiner Seite. Hannah (Name von der Redaktion geändert), auch 11, und ich hatten ausgemacht, dass wir miteinander gehen würden. Ganz klassisch per heimlich weitergereichtem Zettel in der Deutschstunde. 

Wir waren schon länger befreundet, gingen in die Gartenbau-AG zusammen. Sie war so ein Mädchen, das alle Jungs ein bisschen cool fanden. Sie trug Baggy Pants, skatete, kannte Rap-Lyrics und hatte ein hinreißend freches Lächeln. Ein paar meiner Freunde waren richtig neidisch auf mich und ich spürte eine große Verantwortung auf meinen Schultern, aus dieser Fügung alles an Leidenschaft und Abenteuer rauszuholen.

Sie hatte Wurst-Atem. Ich vermutlich auch

Hannah und ich hatten ein Date vereinbart. Unser erstes Date überhaupt. Während eines Grillfestes hatten wir uns zwar schon beim Flaschendrehen ungefähr eine halbe Sekunde lang unbeholfen auf den Mund geküsst. Sie hatte Wurst-Atem. Ich vermutlich auch. Aber sonst hatte es noch keinerlei romantische Handlungen zwischen uns gegeben. Dieses Date würde der Eintritt in diese völlig neue Welt werden. Alles könnte passieren: Würden wir spontan nach Paris fahren und im Sonnenuntergang auf der Seine rudern? Würden wir zusammen eine Bank überfallen und danach auf der Flucht leben? Würde ich im eisigen Atlantik versinken, während sie mir von einer Planke aus nachblickt? Mindestens all das.

Ich radelte nachmittags mit Herzklopfen ins Nachbardorf, wo sie wohnte. „HANNAAAHHH! DA IST SO EIN JUNGE DER NACH DIR FRAGT!!!“, schrie ihre Mutter nach hinten in das große alte Haus, nachdem ich geklingelt hatte. Hannah kam und ihr knallrotes Gesicht machte, dass ich auch sofort ein knallrotes Gesicht bekam. Ihre Mutter stand gerührt lächelnd daneben und schlug irgendwann vor, dass wir ja auf Hannahs Zimmer gehen könnten. Zum Spielen. Spielen? Irgendwas stimmte hier nicht. Wir waren doch Mann und Frau! Das einzige Spielen, das für uns in Frage käme, wäre ich auf der Gitarre gewesen, während sie mich anschmachtete. Aber gut, meine Schwiegermama würde noch bald genug verstehen, was für eine Jahrhundert-Amore hier stattfand.

Wir saßen auf dem Sofa in ihrem Zimmer unterm Dach, es war heiß. An den Wänden hing ein Titanic-Poster neben einem von der Blood Hound Gang. Die Schwaden ihres Axe Vanille Deos und meines Axe Alaska vermischten sich zu einer gotteslästerlichen Mischung. Wir sagten nichts. Ich wusste nicht, was. Ich hatte darauf vertraut, dass das Drehbuch im Prinzip schon geschrieben sei, sich alles wie von selbst ergeben würde. Aber da war nur das Brummen eines fernen Rasenmähers und eine Fliege, die immer wieder gegen die Fensterscheibe bumste. Warum sagte sie nichts? Wusste sie nicht, dass hier etwas Großes passierte? Zwei Menschen, die sich entgegen aller Unwahrscheinlichkeiten von Raum und Zeit gefunden hatten! Sie schien wie gelähmt. Ich traute mich noch nicht einmal, sie direkt anzuschauen, sondern schielte nur aus dem Augenwinkel zu ihr rüber. Wenn sie das Gleiche tat, schaute ich schnell weg. Das war kein Hollywood-Blockbuster, sondern ein langatmiger, widerborstiger, europäischer Arthouse-Film.

Sie weinte. Dann weinte auch ich.

Irgendwann klopfte ihre Mutter an und brachte uns zwei Schälchen mit geschmolzenen Fürst-Pückler-Eis-Sandwiches: „Na, habt ihr Spaß?“ – „Mh-Hm!“ Hinter ihr trottete der alte Hund der Familie, Lumpi, ins Zimmer und legte sich in eine Ecke. Als die Mutter wieder gegangen war, aßen wir schweigend das Eis. Immerhin kicherten wir kurz, als die Eis-Schichten zwischen den Waffeln wegflutschten. Ein Anfang. Aber dann war das Eis alle und wieder Stille. Ich erinnere mich genau, dass ich gerade hypnotisiert und mit anschwellender Übelkeit auf eine riesige, mit Blut vollgesogene Zecke hinter Lumpis linkem Ohr starrte, als Hannah endlich sagte: 

„Ihr fahrt nächste Woche in Urlaub, oder?“ 

„Ja, Tunesien.“ 

„Das ist ganz schön weit.“ 

„Ja, schon.“ 

„Ich bin traurig, dass du gehst.“ 

„Ich komm ja wieder zurück.“

Dann wieder Schweigen. Bis ich ein leises Wimmern hörte. Ich dachte zuerst, es sei Lumpi, aber es war Hannah. Sie weinte. Dann weinte auch ich. Ohne uns anzuschauen, berührten sich unsere schwitzigen Hände ein bisschen. Mir wurde heiß und kalt. 

„Ich schreib dir eine Postkarte … Schatz.“

„Ja, das fände ich schön … Schatz.“

Dann war das Weinen vorbei und es klang nur noch dieses unmögliche „Schatz“ nach. Irgendwann, wir waren sicher zwei Stunden dort gesessen, nahm ich mir ein Herz und sprach den Gedanken aus, der während dieser Zeit langsam in mir gekeimt war: „Irgendwie ist das komisch. Glaubst du, wir sind vielleicht noch zu jung für eine Beziehung?“

„Ja, ich glaub schon.“

Wir lachten erleichtert. Wir sprangen auf, nahmen Lumpi mit, liefen nach draußen, raus aus dem Dorf und spielten unter den gütigen Augen der untergehenden Sonne Fangen in den Maisfeldern wie die Kinder, die wir waren. Was auf seine Art auch durchaus filmisch war.

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