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Homosexuelle dürfen in Deutschland kein Blut spenden
Als nach dem Attentat in dem Schwulenclub "Pulse" in Orlando nach und nach Schwerverletzte in die Kliniken eingeliefert wurden, bildeten sich vor den Blutspendezentren der Stadt lange Schlangen. Einer Gruppe blieb es jedoch verwehrt, ihr Blut zu spenden: homosexuellen Männern, die in den vergangenen zwölf Monaten sexuellen Kontakt mit anderen Männern hatten. Für sie gilt in den USA ein gesetzliches Spende-Verbot. In Deutschland ist dieses Verbot noch viel schärfer. Denn hier ist homosexuellen Männern die Blutspende seit Einführung des Transfusionsgesetzes 1998 komplett untersagt. Darüber, wie diskriminierend dieser Ausschluss ist und was für sinnvolle Alternativen es gibt, haben wir mit Markus Ulrich vom Lesben- und Schwulenverband (LSVD) gesprochen.
jetzt: Herr Ulrich, wie stehen Sie zum aktuellen deutschen Transfusionsgesetz, das homosexuellen Männern die Blutspende generell untersagt?
Markus Ulrich: Wir haben den Pauschalausschluss von homo- und bisexuellen Männern, die Sex mit anderen Männern haben, schon lange als diskriminierend gewertet und kritisiert. Daher fordern wir auf jeden Fall eine Überarbeitung der Richtlinien zur Bluttransfusion.
Ist es sinnvoll, in Notsituationen wie jetzt nach dem Attentat in Orlando, in denen viel Blut benötigt wird, eine Ausnahme vom Gesetz zu machen?
Das finde ich keine ideale Lösung, denn uns geht es eher um eine allgemeine Regelung. Es gibt ja regelmäßig Berichte darüber, dass Blut fehlt. Trotzdem schließt man eine relativ große Gruppe einfach pauschal von Blutspenden aus und das ist eine widersprüchliche Botschaft. Es signalisiert eine Stigmatisierung, die Homophobie legitimiert.
Es war also diskriminierend, die vielen homosexuellen Männer, die nach dem Attentat in Orlando Blut spenden wollten, auszuschließen?
Selbstverständlich. Der Fall hat natürlich noch mal eine besondere Tragweite: Es durften Menschen nicht mit ihrem eigenen Blut helfen, deren Freunde und Angehörige unter Umständen ermordet oder verletzt worden waren. Das bringt noch mal einen besonders bitteren Beigeschmack.
Laut einer Studie des Robert-Koch-Instituts ist eine große Mehrheit der in Deutschland lebenden HIV-infizierten allerdings homosexuell. Damit stellt diese Gruppe statistisch ein höheres Risiko dar.
Und wir sind der Meinung, dass die Sicherheit von Blutkonserven allerhöchste Priorität hat und auch bestimmte Mittel ergriffen werden müssen, um dies sicher zu stellen. Allerdings kann man die gleiche Sicherheit auch mit einem anderen Prozedere herstellen, das wesentlich weniger diskriminierend ist.
Welchem?
Homo- und bisexuelle Männer sind zwar oftmals unter den HIV-positiven oder HIV-infizierten Menschen, aber sie sind es nicht, weil sie schwul oder bisexuell sind, sondern weil sie unsafen Sex hatten. Es gibt ja vor jeder Blutspende eine Befragung. Bei der könnte man einfach klären, ob die Person "unsafen" Sex hatte. Denn eine Übertragung findet ja durch unsafe Praktiken statt und nicht durch irgendwelche Identitäten. Dieses Prozedere stellt genau dieselbe Sicherheit her, ohne auf dem pauschal diskriminierenden Ausschluss von homo- oder bisexuellen Männern zu basieren.
In anderen EU-Ländern wie Frankreich, Italien und Spanien gibt es diese Befragungen bereits. Wer etwa angibt, seit zwölf Monaten keinen sexuellen Kontakt zu Männern gehabt zu haben, darf in Frankreich auch als homosexueller Mann Blut spenden. Wieso ist Deutschland bisher nicht nachgezogen?
Das ist eine gute Frage. Es gibt einige Bundesländer wie Nordrhein-Westfalen und Thüringen, die die Ärztekammer aufgefordert haben, diese Richtlinien zu überarbeiten. Der richtige Ansprechpartner für diese Frage wäre allerdings tatsächlich die Bundesärztekammer, die für die Richtlinien zuständig ist. Der Bundestag etwa kann da nur begrenzt politisch drauf einwirken.
Ist das Thema eventuell nicht brisant genug?
Das würde ich nicht so sagen. Das Blutspendeverbot ist und war immer wieder ein ziemlich großes Thema. Einerseits, weil viele Leute, gerade in der heterosexuellen Mehrheitsgesellschaft, nicht wissen, dass homo- und bisexuelle Männer de facto von der Blutspende ausgeschlossen sind. Andererseits hat es aufgrund der regelmäßig wiederkehrenden Berichte, dass nicht genug Leute spenden, ein greifbares Potenzial.
Denken Sie, dass bei einer Lockerung des Gesetzes deutlich mehr Homosexuelle Blut spenden würden? Man muss ja viel von seinem Sexualleben preisgeben.
Das ist auch jetzt schon Teil der Befragungspraxis. Ich muss auch jetzt schon beantworten, ob ich mit einem Mann Sex gehabt habe. Würde man jedoch explizit nach unsafem Sex fragen und auch danach, was safe ist und was nicht, könnte das zusätzlich einen Aufklärungseffekt haben und damit HIV noch wesentlich stärker vorbeugen.
Das Transfusionsgesetz geht auf den "Blutskandal" von 1993 zurück. Damals infizierten sich mehrere Tausend Menschen in Deutschland durch Bluttransfusionen mit dem HI-Virus. Könnte das heute bei lascheren Gesetzen genauso passieren?
Das glaube ich nicht. Inzwischen ist viel mehr über HIV und Aids bekannt. Auch, weil das Thema heutzutage weniger tabuisiert ist. Es zeugt auch von einem sehr komischen Menschenbild, zu denken, dass es Leute gibt, die wissentlich HIV-positiv sind und trotzdem Blut spenden gehen. Ich finde, der pauschale Ausschluss von Homosexuellen suggeriert eine Sicherheit, die es nie endgültig geben kann. Denn auch jetzt schon kann man bei der Befragung lügen. Oft wird zudem vergessen, dass es auch heterosexuelle Menschen gibt, die HIV-positiv sind.
Stört es Sie persönlich eigentlich, dass Sie auf Ihre Sexualität eingehen müssen, wenn jemand Sie fragt, warum sie kein Blut spenden?
Nein, ich finde es bietet eher eine Möglichkeit zur Aufklärung. Grade im Hinblick darauf, dass immer gesagt wird: Was wollen Schwule und Lesben eigentlich noch – die haben doch schon so viel! Viele Heterosexuelle nehmen die Einschränkungen beim Blutspenden gar nicht wahr und reagieren dann überrascht bis schockiert.
Markus Ulrich ist Pressesprecher des LSVD-Bundesverbands, der sich für die Rechte von Schwulen, Lesben und Transgender einsetzt.