- • Startseite
- • Hochzeit
-
•
Konzept „Ehe auf Zeit“ für Millennials
„Bis dass der Tod Euch scheidet."
Was für ein Versprechen! Und was für eine Last. Die offenbar immer seltener zu schultern ist. Auf 100 Eheschließungen kommen heute 43 Scheidungen. Tendenz steigend. Wir werden höchstwahrscheinlich die Generation mit den meisten Beziehungen und der kürzesten durchschnittlichen Beziehungsdauer in der Geschichte der Menschheit. Wie sollen sich auch Leute, könnte man fragen, die sich kaum für einen Filter bei Instagram entscheiden können, lebenslang binden? Und muss heiraten und sich fest binden das wirklich bedeuten: für immer und ewig?
Aufgeworfen hat diese Fragen eine amerikanische Studie schon 2014: Fast die Hälfte der befragten Millenials (also der damals 18-34 Jährigen) fanden eine Eheform gut, die eine zweijährige Testphase vorsieht. Nach der man die Ehe entweder noch einmal bewusst zusammen eingeht. Oder eben wieder geschieden ist. Eben keine Ehe wie ein Zeitschriften-Abo, das sich einmal aufgeschwatzt immer weiter automatisch verlängert. Sondern eine bewusste Entscheidung, wie es ja ursprünglich auch gedacht war.
Mehr als die Hälfte der Befragten gab in der Studie auch an, dass ein Ehegelübde immer wieder erneuert werden sollte. Oder eben weg kann. Und fast 40 Prozent wollten „bis dass der Tod Euch scheidet“ als Standardklausel abschaffen. „Diese Generation ist es gewöhnt, dass alles erst einmal beta ist,“ sagte die Autorin der Studie, Melissa Lavigne-Delville, „dass ihr Leben immer work in progress ist. Also ergibt die Idee einer Beta-Ehe nur Sinn“.
Das ist nicht unbedingt das Symptom von „Beziehungsunfähigkeit“ oder sonst einer gefühlten Zivilisationskrankheit. Sondern eher das Ergebnis von Liberalisierung und Gleichberechtigung. Unsere Großeltern blieben vielleicht auch zusammen, weil sie große Herzen hatten. Aber oft genug einfach deshalb, weil harte Nachkriegsjahre und soziale Ächtung von Scheidungen sie aneinander schweißten. Und weil Frauen noch viel zu lange auf das männliche Einkommen angewiesen waren. Dass früher also länger und fester geliebt wurde, ist vermutlich eine Verklärung, ein "früher war alles besser" in der Romantik-Version.
Wir sind völlig frei, uns zu binden und dann den Quatsch wieder sein zu lassen
Heute kann zum Glück jeder hier sich so lange und fest binden, wie er oder sie will. Und was die zweijährige Ehe-Testphase gesetzlich verankern würde, machen wir, zumindest in Deutschland, schon längst. Kaum jemand heiratet heute, ohne einander genau „geprüft“ zu haben. Als Paar, in einer gemeinsamen Wohnung, manche sogar schon mit Kind. Das heißt nicht, dass sich niemand festlegen will“, sagt Melissa Lavigne-Delville. „Wir sind nur grundsätzlich beweglich und offen für Veränderungen.“
Die zwei oder vier Jahre korrespondieren dabei ziemlich genau mit dem Rhythmus unserer Liebe. Der große Drogenrausch der Verliebtheit lässt – das weiß die Wissenschaft schon lange – nach ungefähr zwei bis vier Jahren nach. Die Liebe verändert sich. Manche Paare stört das nicht, im Gegenteil. Das Vertraute schlägt das Spannende. Viele andere aber scheitern an dem Anspruch, Jahrzehnte heiß aufeinander zu sein.
Die meisten von uns reihen deshalb eine Beziehung an die andere. Die Anthropologin Margaret Head prägte den Begriff der „seriellen Monogamie“, also der Serie an exklusiven Beziehungen, für die wir uns immer wieder neu entscheiden können. Wir sind eben völlig frei, uns zu binden – und dann den Quatsch wieder sein zu lassen.
In anderen Ländern hingegen, in denen die sexuelle Selbstbestimmung nicht gesetzlich verankert ist, und in denen nicht wie hier eine Mehrheit, zumindest die heterosexuelle, so frei lieben kann wie noch nie in der Geschichte, kämpfen die Menschen um jedes kleine bisschen Freiheit. Im Iran und anderen streng muslimisch geprägten Ländern gibt es Ehen für ein paar Stunden, von Imamen manchmal sogar direkt neben Bordellen angeboten, damit der unverbindliche Sex vor den strengen religiösen Gesetzen okay ist. Eine traurige Form von Beta-Ehe.
Zwangsehen, brutale Strafen bei Verstoß gegen Traditionen und informelle Normen, also die Unterdrückung vor allem von Frauen und Nicht-Heterosexuellen, sind leider in vielen Teilen der Welt so alltäglich wie das inzwischen völlig frei formulierbare Ehegelübde, das sich unsere Freunde geben, weil sie keinen Priester mehr brauchen. Viele von ihnen schwören sich dabei nicht mehr ewige Liebe. Weil man nichts schwören sollte, was man nicht beeinflussen kann. Sondern Hingabe und Ehrlichkeit. Und zu der gehört auch, ein gemeinsames Leben erst einmal so weit zu planen, wie man sich vorstellen kann.
Vielleicht nehmen wir die Reflexion unserer Privilegien, was Liebe und Sex angeht, als Anstoß dafür, Ideen wie die „Ehe auf Zeit“ nicht als Zeichen einer sprunghaften Zeit zu sehen. Sondern als etwas sehr vornehmes. Nicht als Eingeständnis von Zweifeln oder gar Schwäche. Sondern als Geschenk.