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Zusammenziehkolumne über Kinder und Haustiere
Seit ich mit Sonja und ihren Kindern zusammenwohne, habe ich mich verändert. Ich lese jetzt Erziehungsratgeber. In einem stand sinngemäß, die Wahrscheinlichkeit, dass einer der beiden Jungs irgendwann Rentner in U-Bahnhöfen zusammenschlägt, würde erheblich sinken, wenn wir uns ein Haustier anschaffen, weil es die soziale Kompetenz fördert. Außerdem sei ein Tier Balsam für die Kinderseele und könne in stressigen Situationen helfen, wie beispielsweise bei einem Umzug in eine andere Stadt. Also hat so ein Zeckenteppich die gleiche Wirkung bei den Jungs wie eine Packung Zigaretten bei mir. Als Dante und Paul mal wieder bettelten, ein Haustier zu bekommen, wurde mein Vorschlag, den beiden erstmal eine Stange Marlboro zu schenken, trotzdem von Sonja abgelehnt. Stattdessen setzten wir uns mit den Jungs an einen Tisch, und sagten beim Abendessen: „In Ordnung. Dafür, dass ihr den Umzug nach München so brav mitgemacht habt, bekommt ihr ein Haustier.“
Es folgte ein Gefühlsausbruch wie beim Gewinn der deutschen Fußball-Meisterschaft. Kurzzeitig machte ich mir Sorgen, ob Dante – wenn wir das Haustier abgeholt haben – mit dem armen Tier in eine Zimmerecke rennen, es schütteln und brüllen würde: „Da ist das Ding“, wie einst Oliver Kahn.
„Aber ...“, unterbrach ich die Party-Stimmung mit ernster Miene, „Ihr seid dann für das Tier verantwortlich.“
„Natürlich“, riefen die beiden.
„Ihr müsst jeden Tag mit ihm spielen.“
„Klar“, sagten beide.
„Und es füttern.“
„Hä? Was denkst du denn?“
„Und es sauber machen.“
„Ja! Ja! Ja! Wir werden es jeden Tag sauber machen. Wir schwören.“
Keine Ahnung, warum ich trotzdem Zweifel hatte. Vielleicht weil ich ein Scheidungskind bin und durch den Verlust meines Vaters gelernt habe, mich mit Hilfe von Pessimismus vor erneuten Verletzungen zu schützen. Oder weil Paul erst gestern einen Xbox-Controller wütend durchs Zimmer gepfeffert hatte, weil Badetag war.
Auf jeden Fall bekam ich eine Vorstellung davon, wie sich der Mensch gefühlt haben muss, der den ESTA-Einreiseantrag für die USA entworfen hat. Egal, wie die Frage lautete – die Antwort war schon vorher absehbar. Niemand, der in die USA einreisen möchte, kreuzt „Ja“ an bei der Frage: Sind Sie gegenwärtig an einem Völkermord beteiligt? Und natürlich würden die Kids alles behaupten, um ein Haustier zu bekommen. Ich hätte auch sagen können, dass sie dem Tier das Essen vorkauen müssten und sie hätten gesagt: „Selbstverständlich. Das wollten wir eh so machen.“
Es ging also nur noch um die Frage, was für ein Tier es werden würde. Das war der Moment, in dem ich beschloss, selbst irgendwann einen Ratgeber zu schreiben. Titel: „Entscheidungsfindungsprozesse in einer Familie – oder: warum ich mich lieber mit Brennnesseln abtrocknen würde als meinen Kindern nochmal eine Entscheidung zu überlassen.“ Die Idee für das Buch kam mir schon vergangene Woche, als wir Pizza-Abend hatten und eine Stunde darüber stritten, wie der Teig belegt wird. Am Ende wurde das Blech in Quadranten unterteilt, wie Deutschland beim Friedensvertrag von Versailles.
„Ich will so einen Labrador wie Jonas hat“, rief Paul aufgeregt.
„Nein, lieber einen Dalmatiner“, rief Dante.
„Kommt nicht in Frage. Die sind viel zu groß für unsere Wohnung“, sagte ich.
„Dann einen kleinen Hund?“
„Gar kein Hund.“
„Eine Katze?“
„Max mag keine Katzen“, sagte Sonja.
"Wenn es blöd läuft, kommt die Frau zu dem Ergebnis, dass ich zwar zwei Kinder aufziehen kann, aber kein Nagetier?“
Stimmt. Als Kind hatte ich eine Katze und die war ein Arschloch. (Tierfreunde schreiben unserem Autor bitte direkt an: Maximilian.Reich@gmx.de) Der Vorbesitzer sagte uns damals lediglich, die Katze habe Charakter. Leider hatte er uns verschwiegen, dass es der Charakter von Adolf Hitler war. Das Tier nutzte jede Gelegenheit, in einen Fuß oder eine Hand zu beißen. Ich hab immer noch das Bild vor Augen, als mein kleiner Bruder aus der Dusche kam und das Vieh sich in seinem nackten Oberkörper festkralle. Mein Bruder rannte schreiend durch das Haus und die Katze hing an ihm wie ein Wackeldackel.
Am Ende einigten wir uns auf zwei Hamster. Und damit dachte ich eigentlich, das Thema sei für mich erledigt. Falsch gedacht. Eine Woche später saß ich in der Redaktion, als ich einen Anruf von Sonja bekam: „Schatz, hältst du dir für morgen bitte frei?“
„In Ordnung. Warum denn?“
„Wir holen die Hamster von der Züchterin ab.“
„Na gut.“
„Und kannst du heute etwas früher nach Hause kommen?“
„Wozu?“
„Wir müssen den Käfig aufbauen.“
„Können wir das nicht morgen machen, wenn wir die Hamster geholt haben?“
„Nein, wir müssen die heute aufbauen und ein Foto davon machen, das wir ihr morgen zeigen.“
„Bitte?“
„Sie will sichergehen, dass wir alles haben und die Hamster in gute Hände kommen. Sonst gibt sie die uns nicht. “
„Du meinst also, ich habe morgen einen Vorstellungstermin für einen Hamster und wenn es blöd läuft kommt die Frau zu dem Ergebnis, dass ich zwar zwei Kinder aufziehen kann, aber kein Nagetier?“
„Sieht so aus.“
„Na, super.“
Am nächsten Vormittag standen wir also alle hübsch herausgeputzt wie ein Kirchenchor irgendwo in der bayerischen Provinz vor der Haustür der Züchterin, in meiner Hosentasche mein Handy mit dem Käfig-Foto, über das wir noch den Gingham-Instagram-Filter gelegt hatten. Sicher ist sicher.
„Wenn sie mich fragt, was meine Stärken und meine Schwächen sind, dann gehen wir. Mit oder ohne Hamster, mir egal“, zischte ich Sonja zu, als eine hochschwangere Frau uns in ein miefiges Zimmer führt mit etwa 20 Hamsterkäfigen darin.
Drei Tage ist das jetzt her. Die Hamster haben wir bekommen. Gespielt haben die Kinder mit ihnen bisher einmal. Fairerweise muss man aber dazu sagen, dass das nicht ihre Schuld ist. „Cash“ und „Baika“ sind selbst unter den nachtaktiven Tieren echte Langschläfer und wachen erst auf, wenn die Jungs längst schlafen. Und weil Sonja krank im Bett liegt, darf ich jetzt alleine auf dem Sofa sitzen und die Viecher (Sie erreichen unseren Autor übrigens auch über Facebook) bürsten. Das muss man bei Teddy-Hamstern nämlich machen, hat die Züchterin gesagt. Ich musste dafür extra eine Bürste kaufen auf Amazon. In solchen Momenten frage ich mich immer, was für ein Bild der NSA-Agent wohl von mir haben muss, der meine ganzen Daten sammelt. Ich war mal cool. Ich war am Abend auf Partys und habe mit Frauen getanzt. Jetzt bürste ich Hamster. Ich hab mich wirklich verändert.