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Zusammenziehkolumne über interkulturelles Patchwork
Neulich war ich mit Paul im Supermarkt einkaufen, als die Kassiererin ihn fragte: „Was bist du denn für ein Mischling?“
Einen Moment lang haben wir sie sprachlos angeschaut. Paul war schüchtern und ich stand unter Schock, weil die Dame mit meinem Stiefkind sprach, wie mit einem Hund. Außerdem war ich mir nicht sicher, ob das nun ein rassistischer Kommentar war oder ob die Frau einfach nicht das schärfste Messer in der Schublade ist. Meine größte Sorge war in dem Moment, wie ich dem armen Kind nachher diese blöde Frage erklären sollte. Vielleicht reagiere ich über, aber seit ich zwei Stiefsöhne mit Migrationshintergrund habe, bin ich sehr sensibel bei dem Thema.
„Der Vater ist Deutscher und woher kommt die Mutter?“, hakte die Frau an der Kasse nach.
„Korea“, antwortete ich knapp und streckte ihr das Geld entgegen. Ich wollte einfach nur noch weg.
„Wow. So ein hübscher Junge. Es sollte mehr Koreaner in Deutschland geben“.
In dem Moment ist mir ein Sack Reis von der Seele geplumpst.
Seit Sonja mit Dante und Paul vor ein paar Wochen zu mir gezogen ist, sind wir eine Patchwork-Familie. Die Herausforderung bei solchen Beziehungsmodellen besteht darin, gemeinsame Werte und Verhaltensmuster zu entwickeln, um zu einer Familie zusammenzuwachsen. Oder, um es im Fußball-Sprech zu sagen: Man muss aus den einzelnen Teilen eine homogene Mannschaft formen. Sonst steigt man in die zweite Liga ab oder trennt sich nach ein paar Monaten wieder. In beiden Fällen fließen Tränen. Bei uns kommt noch hinzu, dass auch zwei Kulturen aufeinander prallen. Das macht das Zusammenwachsen besonders spannend, weil es noch mehr Unterschiede gibt.
Zum Beispiel war ich bisher kein besonders gläubiger Mensch. Ich habe eigentlich nur gebetet, wenn es einen Elfmeter für Dortmund gab. Jetzt bete ich, wenn es Abendessen gibt, das übrigens höllisch scharf ist, wenn Sonja kocht. Ganz egal, ob Reis oder Fischstäbchen auf dem Tisch stehen. Während die anderen drei sich genüsslich das Essen reinschaufeln, sitze ich schweißgebadet da und trinke drei Gläser Milch hintereinander.
Aber das ist nicht der Grund, warum ich bete. In meiner neuen Familie ist das einfach üblich. Es sind bestimmt nicht alle Koreaner gläubig – aber sehr viele. In Seoul gibt es eine katholische Kirche mit 200.000 Besuchern pro Woche. Ich weiß das, weil Dante die Messe jeden Sonntag im Wohnzimmer auf seinem Laptop guckt, während ich daneben Fifa spiele und fluche. Ich bin mir ziemlich sicher, dass uns irgendwann das BKA in der Nacht wecken wird und mich verhaftet, weil von meinem Laptop illegal Gottesdienste gestreamt wurden.
In Korea schenkt man Waschpulver. So wie das aufschäumt, soll sich auch dein Reichtum vermehren
Aber zumindest kann ich dann in meiner Zelle in Ruhe Yoga machen. Und für alle Leserinnen (Grüße an die Facebook-Userin Uta K.), die jetzt wieder meinen, sie müssten die Welt auf dem Laufenden halten über den Status ihrer Eierstöcke beim Lesen dieser unmännlichen Zeilen: Jean-Claude Van Damme hat früher Ballett gemacht, dann darf ich ja wohl noch den Sonnengruß üben. Das lasse ich mir von niemandem verbieten – außer vielleicht von meiner Schwiegermutter. Aber der Reihe nach:
Seit gestern sind Sonjas Eltern bei uns zu Besuch. Ihr Vater hat mich herzlich begrüßt und mir zwei XXL-Kanister mit Waschpulver in die Hände gedrückt. Ich hatte keinen Schimmer, was der Quatsch sollte, aber ich wollte auch nicht undankbar wirken. Also hab ich mein glücklichstes Lächeln aufgesetzt und gesagt: „Heeey, suuuuper. Waschpulver. Mensch, das wäre doch nicht nötig gewesen.“ Anschließend habe ich die Boxen in das Badezimmer gehievt, wo Sonja sich gerade noch die Haare kämmte.
„Äh... Schatz, warum bitteschön denken deine Eltern, wir hätten kein Waschmittel zuhause?“
Sonja sah die Kanister und lachte. „In Korea schenkt man zum Einzug in eine neue Wohnung kein Brot und Salz, sondern Waschpulver. So wie das aufschäumt, soll sich auch dein Reichtum vermehren.“
„Ah, verstehe.“
„Übrigens“, sagte Sonja und zeigte auf meine Yoga-Matte hinter der Badezimmertür, „die musst du bitte im Kleiderschrank verstecken, solange meine Eltern da sind. Und erzähl auf gar keinen Fall, dass du mit Yoga angefangen hast.“
Sonja neigt gelegentlich zu Übertreibungen, also habe ich es trotzdem erzählt. Großer Fehler. Yoga kommt nämlich aus dem Buddhismus und buddhistische Mönche sind in Korea anscheinend so beliebt wie Schalker im Dortmund-Block, weil sie einen Hang zum Glücksspiel haben sollen. Was ich irgendwie witzig finde, weil ein buddhistischer Mönch hierzulande nicht unbedingt der Inbegriff des Bösen ist. Das ist, als würde dir jemand sagen: „Halte dich bloß von kleinen Pudelwelpen fern. Den Motherfuckern ist nicht zu trauen.“
Stattdessen mache ich jetzt Kalligraphie zum Entspannen. Das ist in Korea sehr beliebt. Die letzten zwei Stunden saß ich mit Sonjas Mutter am Küchentisch und sie hat mir gezeigt, wie ich koreanische Buchstaben male. Als mir das letzte Mal jemand gezeigt hat, wie ich einen Buchstaben zu malen habe, war ich sechs Jahre alt und die Lehrerin trug dabei die Handpuppe „Mimi, die Lesemaus“ über ihrer Hand. Ich hab Sonjas Mutter also gesagt, ich müsse ganz dringend eine Pause machen, weil ich noch diese Kolumne schreiben muss. Leider bin ich damit jetzt fertig.