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Zusammenziehkolumne über Dinge, die man erst mit Kindern über sich lernt
Ich fand Filme immer cool, in denen der Mann in eine Bar geht, wenn er Probleme zu Hause hat und einen doppelten Whisky bestellt, den er theatralisch runterkippt. Das wirkt so verdammt männlich. Ich mag leider keinen Whisky. Dabei zieh ich immer eine Grimasse die aussieht, als hätte Picasso einen Schlaganfall-Patienten gemalt. Eine Bar gibt es bei uns in der Nähe auch nicht, bloß Starbucks – und da kann man Sorgen nicht männlich runterspülen. Man stelle sich mal vor:
Cowboy: „Barkeeper? Whisky. Nen doppelten.“
Barkeeper: „Zum Hiertrinken oder Mitnehmen?“
Cowboy: „Äh... hier.“
Barkeeper: „Alles klar. Und Ihr Name?“
Das ruiniert doch komplett diese Selbstmitleids-Stimmung. Und einen doppelten Caramel Frappuccino kann ich sowieso nicht bestellen, weil ich danach wahrscheinlich Diabetes hätte. Alles scheisse.
Ich sitze auf dem Sofa im Starbucks und zutzel theatralisch an meinem Strohhalm. Seit einem Monat wohne ich nun mit Sonja und ihren beiden Söhnen Dante und Paul zusammen. Und ich liebe es. Aber durch diese neue Wohnsituation habe ich Dinge über mich gelernt, die mir nicht gefallen.
Lektion 1: Ich bin ein Diktator.
Ich hielt mich immer für einen liebenswerten Menschen, dem niemand böse sein kann. Halt für den perfekten Schwiegersohn. Durch die Kinder entdecke ich eine ganz andere, sehr strenge und intolerante Seite an mir. In der DDR hätte ich bestimmt Karriere gemacht. Oder als Drill-Sergeant in einem amerikanischen Jugendgefängnis. Hier ein paar Regeln, die ich aufgestellt habe: - Wer beim Essen den Ellbogen auf dem Tisch hat, muss den Tisch am Ende alleine abräumen. - Die Schulsachen müssen bis 19 Uhr gepackt sein – sonst geht der Täter ohne die Hefte in die Schule. - Wer den Tisch nicht decken will, bekommt kein Abendessen. - Wer um 20 Uhr nicht im Bett liegt, geht am nächsten Tag bereits um 19 Uhr schlafen. Das Schlimme ist: Ich weiß gar nicht, warum ich so streng bin. Dante und Paul sind die großartigsten Kinder auf der Welt. Ohne einen Mucks haben sie alle ihre Freunde und ihren Vater in Hamburg zurückgelassen und sind in eine andere Stadt gezogen, weil ihre Mutter einen Diktator liebt. Und ich schimpfe sie, bloß weil sie noch die zweite Halbzeit eines Fußballspiels sehen wollen anstatt ins Bett zu gehen. Ich hoffe, dass es nur an meiner fehlenden Erfahrung liegt und keine schwarze Macht in mir schlummert. Ich möchte nicht eines Tages als Darth Vader aufwachen.
Lektion 2: Ich verwandele mich in meinen Vater.
Als ich ein Kind war, hat mein Vater beim Frühstück immer den gleichen schlechten Witz erzählt. Wenn meine Mutter ihn gefragt hat, wie er seine Eier möchte, hat er geantwortet: „Gestreichelt.“ Gestern hab ich den gleichen Witz gemacht – und Sonja hat mir dafür den gleichen strafenden Blick zugeworfen, wie damals meine Mutter meinem Vater, weil ich es vor den Kindern gesagt habe. Nach jedem Witz lachte er und stupste einen an der Schulter: „Verstehst du? Verstehst du?“ Ich fand das schrecklich. Jetzt mach ich es selber. Mein Vater ist der beste Vater der Welt. Ich könnte mir keinen besseren Vater wünschen. Aber es ist schon bitter zu erkennen, dass man doch nicht so einzigartig ist wie man gerne wäre, sondern bloß eine 2.0 Version.
Lektion 3: Ich muss mich bei meiner Mutter entschuldigen.
Kinder sind wie ein Spiegel. Man guckt sie an und sieht seine eigene Kindheit. Aber jetzt bin ich selbst (Ersatz-)Vater und kann mir vorstellen, wie sich meine Eltern damals gefühlt haben müssen. Neulich hatte ich mit Dante einen Streit, weil er keine Lust hatte sein Deutsch-Referat zu machen. Das erinnerte mich an meine Schulzeit. Ich war viel schlimmer als Dante, der eigentlich ein guter Schüler ist. Ich dagegen habe nie Hausaufgaben gemacht und bin zweimal durchgefallen. Meine Mutter muss Magengeschwüre bekommen haben meinetwegen Und noch ein Beispiel: Als ich 16 war, hatte ich kein Geburtstagsgeschenk für meine Mutter. Ich hatte in der Woche Liebeskummer und war mit mir selbst beschäftigt. Neulich hatte Sonja Geburtstag und die Jungs hatten nichts für sie. Das hat ihr sehr wehgetan. Und ich musste wieder an meine Mutter denken und wie sie sich damals wohl gefühlt hat.
Deswegen zutzel ich jetzt die letzten Tropfen aus meinem Kaffee-Becher und tippe in den Internetbrowser meines Laptops die Adresse von Fleurop ein um ihr ein paar Blumen zu schicken, als Entschuldigung. Und danach bestell ich noch was für die Kinder, dafür, dass sie es mit mir so lieb aushalten. Wer braucht schon Whisky und eine Bar, wenn er seine Probleme auch im Internet mit Online-Shopping lösen kann.