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Zusammenziehkolumne über das Erwachsenwerden mit Kindern
Ich bin in diesem Augenblick nicht alleine. Paul (8) und Dante (11) sitzen neben mir am Wohnzimmertisch und lesen mit, was ich schreibe. Seit ich diese Kolumne über unsere Familie habe, sind sie ganz aufgeregt und äußern immer wieder Wünsche, was ich schreiben soll. Wie bei einem DJ auf einer Party, der endlich mal das Lieblingslied spielen soll, soll ich zum Beispiel die 6k von Dante grüßen. Das habe ich hiermit gemacht. Und Sonja ruft aus der Küche, dass ich ruhig mal erwähnen könnte, dass sie gar nicht aussieht, als ob sie sechs Jahre älter wäre als ich. Na gut, bitteschön.
Vor Kurzem habe ich auf jetzt einen Artikel gelesen über eine Tierärztin, die für ihre Doktorarbeit Sperma von Papageien untersucht. Ich frage mich, ob ihre Familie auch dabei ist und ihre Arbeit kommentiert, wenn die junge Ärztin dem Vogel einen runterholt.
„Rubbel doch mal ein bisschen schneller.“
„Ich will auch mal.“
„Grüß ihn von mir.“
Ich stelle mir diesen Job sehr entspannend vor. Mittlerweile leben Sonja und ihre beiden Kinder seit zwei Monaten bei mir und ich habe gelernt, dass es in einer Familie keine Privatsphäre gibt. Als ich noch Single war, habe ich mich oft einsam gefühlt, wenn ich nach der Arbeit in meine leere Wohnung kam. Jetzt ist immer jemand da, der fragt, wie es mir geht. Das finde ich schön. Aber ich gebe zu: Manchmal wäre es ganz nett, im Fernsehen eine Sendung anzugucken, wo der Protagonist kein sprechendes Tier ist. Leider ist das momentan schwierig, weil Osterferien sind und die Kinder bis 23 Uhr aufbleiben dürfen.
Deswegen gehe ich dreimal in der Woche am Abend ins Fitnessstudio, da haben die Laufbänder eingebaute Fernseher. Neulich habe ich darauf das Dortmund-Spiel gesehen und dabei laut geschimpft, sofern man eben mit Seitenstechen und Schnappatmung schimpfen kann. An einem anderen Tag habe ich eine Dokumentation über einen Stamm in Äthiopien gesehen. Die Jugendlichen müssen dort nackt über die Rücken einer Horde Rinder laufen und wenn sie wieder herabsteigen, sind sie erwachsen.
Als Jochen das erste Mal Vater wurde, habe ich noch mein Tamagochi gefüttert
Das bringt mich zum eigentlichen Thema. Der Moment, in dem ich realisiert habe, dass ich erwachsen bin, war nämlich gestern. Wir waren bei Sonjas Freundin Elif und ihrem Mann Jochen zum Abendessen eingeladen. Paul und Elifs Sohn gehen in dieselbe Klasse. Noch so eine Sache, die sich mit einer Familie ändert: Man hat ständig Kontakt mit Menschen. Man trifft sie auf Kindergeburtstagen, bei Schulveranstaltungen, wenn man die Kinder von einem Freund abholt – es gibt einfach kein Entkommen vor ihnen. Es ist schlimm. Ich hasse Menschen. Ich fühle mich in ihrer Gegenwart nicht wohl. Wenn der Postbote klingelt, stelle ich mich schlafend und mit der jetzt-Redaktion kommuniziere ich ausschließlich per E-Mail. Sonja meint, ich wäre sogar in der Steinzeit ein Höhlenhocker gewesen.
Das Problem, wenn man eine ältere (die aber nicht älter aussieht) Freundin hat, ist außerdem, dass sie Freundinnen hat, die mit Pech noch mal ein bisschen älter sind. Und wenn es ganz blöd läuft, ist die dann auch noch mit einem älteren Mann verheiratet. Um es kurz zu machen: Elif ist 44 und ihr Mann Jochen ist 53 – also zwanzig Jahre älter als ich. Das ist fast ein Vierteljahrhundert. Als ich gelernt habe zu Gehen, hat er gelernt Autozufahren. Und als er das erste Mal Vater wurde, habe ich noch mein Tamagotchi gefüttert. Ich hatte beim besten Willen keine Idee, worüber ich mit Jochen reden sollte.
„Jetzt stell' dich nicht so an. Ich bin doch auch noch da“, hat Sonja gesagt. Ja, klar. Drei Minuten war sie an meiner Seite. Dann war ich auf mich allein gestellt. Wir hatten gerade in der Küche ein Glas Wein bekommen, als Jochen zu mir meinte: „So, dann wollen wir die Damen mal schnattern lassen und uns im Arbeitszimmer unterhalten.“ Unterhalten. Wer um Gottes Willen drückt sich denn so aus? Ich quatsche mit Kumpels oder wir ratschen – aber wir unterhalten uns doch nicht. Das impliziert doch schon eine förmliche Thematik der Unterhaltung und schließt jedes Geplänkel über Fußball und Frauen aus. „Wir hatten eine durchaus ansprechende Unterhaltung über das prächtige Hinterteil der Schiedsrichterin Bibiana Steinhaus.“ Meine Kumpels haben auch kein Arbeitszimmer, sondern Spielzimmer.
Sonja hat gemeint, ich sollte mit Jochen einfach reden wie ich mit meinen Freunden rede. Aber wenn ich meine Kumpel treffe, spielen wir Fifa auf der Xbox und sagen Sätze wie: „Na, du alter Lutscher, was machen die Weiber?“
Ich guckte Jochen an. Er schwenkte sein Weinglas und roch daran. ER ROCH AN SEINEM WEIN!
Wenn ich ihn jetzt fragen würde: „Na du alter Lutscher, was machen die Weiber“, würde ihm der Wein lieblich durch die Nasenlöcher schießen. Also beschloss ich, Sonjas Ratschlag lieber zu ignorieren und stattdessen einen Schluck Wein zu nehmen um Zeit zu gewinnen und sagte dann: „Hmm. Wein.“
„Das ist ein ganz lieblicher aus Freiburg.“
„Ah“, habe ich gesagt, weil mir dazu nicht mehr eingefallen ist.
„Mein Urgroßvater kam ursprünglich aus dem Breisgau, bevor er mit meiner Großmutter nach Kiel gezogen ist“, sagte er und dann ging es irgendwie um seinen Vater und die Kunst des Schiffebauens. Ach, keine Ahnung, es fiel mir schwer zuzuhören. Ich hab mir noch nie so sehr gewünscht, gerade lieber irgendwo am Arsch der Welt nackt über eine Kuh zu laufen. Und währenddessen hörte ich das Lachen von Paul und seinem Freund, die oben im ersten Stock zusammen spielten. Die Glücklichen.
Jetzt musste ich feststellen, dass meine besten Gamer-Tage hinter mir liegen. Das Spiel war mir zu grell und zu schnell
„Entschuldige, ich muss mal kurz auf die Toilette“ habe ich irgendwann zu Jochen gesagt und habe nach den beiden Jungs geguckt. Sie saßen auf dem Kinderbett und haben etwas auf dem Handy gespielt.
„Darf ich auch mal“, habe ich freundlich gefragt.
Paul hat die Augen verdreht. Es war ihm peinlich, dass ich da war. Klar, aber wenn er abends aufs Klo muss und sich nicht traut alleine durch den dunklen Flur zu laufen – dann ist er froh, wenn ich da bin.
Das andere Kind hat zögerlich „Ok“, gesagt.
Als Kind hatte ich jede Spielkonsole, die es gab, und war Profi in jedem Spiel. Freunde reichten mir ihre Gameboys, damit ich Endgegner für sie besiegte. Jetzt musste ich feststellen, dass meine besten Gamer-Tage hinter mir liegen. Das Spiel war mir zu grell und zu schnell. Und leider sind Kinder offenbar nicht unbedingt tiefenentspannt, wenn man ihnen einen neuen Highscore versaut. „Oh Mann, gib wieder her“, hat Paul geschimpft und mir das Handy aus der Hand gerissen. Ich fühlte mich ein bisschen wie früher, als die großen Jungs bei uns in der Straße mich beim Fußball nicht haben mitspielen lassen. Jetzt lassen mich die Kleinen nicht mitspielen. Ich frage mich, ob ich jemals irgendwo dazugehören werde.
Aber darüber muss ich mich später Gedanken machen. Paul steht mittlerweile angezogen im Flur und wartet darauf, dass ich ihn zu seinem Freund bringe. Ich hasse das. Die Eltern fordern einen immer auf, noch mit reinzukommen und dann weiß ich wieder nicht, worüber ich mit denen reden soll. Deswegen nehme ich immer einen Jute-Beutel mit und sage, dass ich keine Zeit habe weil ich leider noch ganz dringend einkaufen muss für heute Abend. Da fällt mir ein: Hoffentlich lesen unsere Nachbarn nicht diese Kolumne. Sonst muss ich in Zukunft beim Schreiben auf die auch noch Rücksicht nehmen …