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Kimchi aus der Tupperdose

Illustration: Federico Delfrati

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Beinahe hätte es diese Kolumne nie gegeben. Damit meine ich nicht, dass ich mir unsicher gewesen wäre, ob ich mit Sonja und ihren beiden Kinder Dante (11) und Paul (der neulich Geburtstag hatte und jetzt schon 9 ist) zusammenziehen möchte – daran gab es keinen Zweifel. An meiner Berufswahl allerdings schon.

Ich stand im Deutschunterricht immer auf einer 4. Mein Klassenlehrer meinte mal zu meiner Mutter, dass ich später lieber nichts mit Sprache machen sollte. Als ich mit der Schule fertig war, habe ich deshalb beim Arbeitsamt einen Test gemacht. Um herauszufinden, welcher Beruf für mich geeignet sein könnte. Ich habe ein paar Fragen beantwortet und am Ende erfahren, dass ich die ideale Hebamme wäre. Offenbar hatte mir das Arbeitsamt noch nie dabei zugesehen, wie ich versuche, das Spielzeug aus einem Überraschungs-Ei zu holen. Wer einmal die Zerstörung gesehen hat, die ich dabei anrichte, käme niemals auf die Idee, dass ich Kinder aus einem Uterus ziehen sollte.

Deshalb habe ich BWL studiert. Weil man damit immer einen Job findet, hab ich gedacht. Hab mich aber geirrt. Hab keinen Job gefunden. Also bin ich doch Autor geworden. Seit mittlerweile acht Jahren schreibe ich.

Gestern habe ich meine Entscheidung zum ersten Mal bereut, denn als Autor gebe ich Informationen über mich preis – und es gibt Leser, die diese Informationen benutzen, um mich zu verletzen. Ich habe eine E-Mail bekommen von einem Leser, der mich als „Loser“ bezeichnet, weil ich mit einer Ausländerin zusammen bin. Dann folgte ein längerer Text darüber, wie abscheulich Ausländer seien und ob ich denn nichts besseres finden würde.

Ich habe mich in meinem Leben nur einmal geschlagen. Das war mit Sophia Berghammer aus der 3b und am Ende saß sie triumphierend auf meinem Rücken. In dem Moment hätte ich mich nun gerne ein zweites Mal geprügelt. Diese widerwärtige Mail hat mich sehr getroffen, weil sie so unfair ist. Das Schlimmste ist diese Machtlosigkeit. Ich kann ihn nicht zur Rede stellen und was noch schlimmer ist: Ich kann ihn nicht umstimmen.

Niemand hat mir gezeigt, wie ich meine Kinder darauf vorbereite, dass manche Menschen sie wegen ihres Aussehens nicht mögen

Ich muss akzeptieren, dass es Menschen geben wird, die meine Familie nur aufgrund ihrer Herkunft ablehnen. Und das tut mir unendlich leid für sie. Und dann frage ich mich, wie sie sich wohl fühlen. Und dann bekomme ich Angst, dass mal jemand zu den Kindern so einen Unsinn sagt. Es gibt so viele Erziehungsratgeber, die sich mit unbedeutendem Nonsens beschäftigen wie der idealen Schlafzeit – aber niemand hat mir gezeigt, wie ich meine Kinder darauf vorbereite, dass es da draußen Menschen gibt, die sie aufgrund ihres Aussehens nicht mögen. Dabei ist das doch das beste an meiner Familie.

Die Süddeutsche Zeitung hat mal dem Kimchi, eine Art Kohl und das koreanische Nationalgericht, einen Beitrag gewidmet, weil es so lecker ist. Unser Nachbar, ein Urdeutscher mit bayerischem Akzent, hat das gelesen und kocht nun jeden Monat Kimchi. Und seitdem wir in der Nachbarschaft wohnen, packt er seinen Kohl dann immer in eine Tupperdose und bringt sie vorbei, damit Sonja probiert und ihren Daumen hebt oder senkt. Wie ein römischer Imperator. Wenn es ihr schmeckt, ist er glücklich. Das ist für ihn ein Gütesiegel. Und es schmeckt. Aber noch besser schmeckt es eben von Sonja, weil sie schon als kleines Mädchen zugeguckt hat, wenn ihre Mutter es gekocht hat.

Sowas lernst du nicht in einem Rezeptbuch. Deswegen hat ein Kumpel von mir auch kein Hotel in Tokio gebucht, sondern macht in der japanischen Hauptstadt lieber Couchsurfing – um mit den Einheimischen in Kontakt zu kommen. Nur sie können dir eine fremde Kultur wirklich näher bringen.

Ich muss dafür nicht mal die Wohnung verlassen und kann auf meiner Couch bleiben. Theoretisch zumindest. Leider ist Sonja nämlich, abgesehen vom Essen, so asiatisch wie die Milka-Kuh. Sie hat sogar einen norddeutschen Akzent. Neulich saßen wir beim Mittagessen und Sonja musste sich die Nase putzen.

„Schäm dich“, hab ich gesagt und sie tadelnd angeguckt.

„Hä?“

„Das Naseputzen am Tisch ist in Korea ein absolutes No-Go.“

„Wo hast du das denn her?“

„Hab ich im Internet gelesen“, habe ich stolz gesagt und meine Weißwurst weiter gegessen. Aber nicht ganz. Ein Drittel habe ich liegen gelassen. „Macht man in Korea so. Ist eine Frage der Manieren“, hab ich gesagt.

„Du spinnst“, hat Sonja gesagt und den Rest meiner Weißwurst auch noch aufgegessen, weil das eine Frage des Appetits sei.

 

Ich habe Sonja auch gebeten, häufiger Koreanisch zu sprechen, damit ich die Sprache lerne. Es wäre doch jammerschade, wenn ich diese Möglichkeit nicht nutzen würde. Als würde man in einem Haus mit Pool wohnen und nie darin schwimmen. Bisher kann ich aber bloß einen Mund voll einzelner Worte wie Guten Tag („Anyong Haseo“) und einen einzigen vollständigen Satz auf koreanisch, der bedeutet: „Für trockenes und strapaziertes Haar“ – weil bei uns noch eine Shampoo-Flasche aus Korea im Badezimmer steht und ich in der Badewanne gerne lese. Zur Not eben die Rückseiten der Badetuben.

 

Um also die Frage des Lesers zu beantworten, der diese Texte ja anscheinend liest: Nein, ich finde nichts besseres. Es gibt keine bessere Frau als Sonja – und das einzige, wofür ich mich schämen muss, ist, dass ich mich nicht schon früher mit Ausländerfeindlichkeit in Deutschland auseinandergesetzt habe. Sondern erst jetzt, wo es mich indirekt betrifft.

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