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Was mir das Herz bricht: Verängstigte Touristen

Illustration: Daniela Rudolf

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Man erkennt sie am Klammergriff. Eigentlich wollen sie lässig in die Kamera winken, während sie vor dem Eiffelturm, dem Brandenburger Tor oder einer beliebigen anderen Sehenswürdigkeit posieren. Aber so richtig lässig geht das nicht, weil eine Hand immer am Rucksack bleiben muss. Der hängt nicht wie bei gewöhnlichen Menschen auf dem Rücken, sondern vor dem Bauch. Später, auf den Erinnerungsfotos, werden dieser Bauchrucksack und die Hand, die ihn fest umklammert, davon zeugen, dass diese Touristen mit sehr viel Angst durch die Stadt gelaufen sind. Und das bricht mir das Herz.

Denn ich beobachte sie nicht in einer brasilianischen Favela oder auf einem westafrikanischen Markt, sondern auf menschenleeren europäischen Plätzen vor sauber gesandstrahlten Sehenswürdigkeiten. Das Phänomen betrifft flächendeckend jede europäische Großstadt. Und das macht mich so traurig. Denn obwohl objektiv kaum Gefahr besteht, dass auf dem riesigen Platz vor der Notre-Dame-Kirche gleich jemand angerannt kommt, ihnen den Rucksack vom Bauch reißt und damit flüchtet, ist ihnen die Angst in Fleisch und Blut übergegangen. Ihr ganzer Körper schlingt sich um diesen Rucksack auf ihrem Bauch wie eine Festung, in deren Mitte ein kostbarer Schatz lagert.

Meine Vermutung, dass sich in diesem Rucksack eh nur ein Lonely-Planet, eine Tupperbox mit geschmierten Broten und eine Billig-Knipse befindet, muss ich zur Seite schieben, um nicht noch mehr Mitleid zu empfinden. Denn es ist traurig genug, sich von seinen Habseligkeiten so dermaßen einnehmen zu lassen, dass man jegliche Haltung verliert. Wenn sie noch dazu nichts wert sind, ist es noch trauriger.

„Ich möchte, dass sie aufrecht und stilvoll durch diese Stadt laufen und ihre Aura der Angst ablegen“

Ich möchte diesen Menschen liebevoll in die Wange kneifen und dabei kumpelhaft zurufen: „So schlimm ist es hier doch gar nicht!“ Ich will, dass sie ihren Urlaub genießen, schlendern, flanieren. Ich möchte sie umarmen und ihren Rucksack sanft wieder auf ihren Rücken drehen, um ihnen ein kleines bisschen Würde zurückzugeben. Ich möchte, dass sie aufrecht und stilvoll durch diese Stadt laufen und ihre Aura der Angst ablegen.

Stattdessen beobachte ich sie einfach nur. Wie dicke Hummeln taumeln sie von dem ungewohnten Gewicht auf ihrem Bauch, das sie leicht nach vorne gebeugt laufen lässt. Im Museum rammen sie sich mit dem Vorbau aus Habseligkeiten gegenseitig in den engen Gängen.    

Am traurigsten ist aber, dass sie aus dieser bemitleidenswerten Lage wohl kaum rauskommen. Überall werden sie mit den Risiken der neuen Umgebung beschallt: „Taschendiebe sind im Museum aktiv“, „Taschendiebe sind in der U-Bahn aktiv“, „Lassen Sie ihr Gepäck nicht unbeaufsichtigt“ – so tönt es zum Beispiel in Paris aus jedem Lautsprecher. Es stimmt, hier wird viel geklaut. Aber gibt es nicht würdevollere Möglichkeiten, sich dagegen zu schützen? Gibt es nicht auch Situationen (Stichwort Selfie), in denen man nicht per se wie ein Opfer aussehen muss? Könnte man nicht sein Geld in die Hosentasche stecken und die Kamera in die Innentasche der Jacke? Wenn dann nur die Tupperbox geklaut wird, wäre das zwar schade um die Brote, aber echt nicht so wild.

Ich habe keine Statistiken zur Korrelation dieses Phänomens mit tatsächlichen Diebstählen gefunden, aber ich kann mir vorstellen, dass es ähnlich ist wie im Tierreich: Der Jäger wittert die Angst seiner Beute und denkt sich: „Jetzt kann’s losgehen.“ Auch wenn nichts in diesen Rucksäcken drin ist, suggeriert der Klammermodus, dass es vielleicht doch was zu holen gibt. Die unbeholfenen Bewegungen, die durch die Verlagerung des Gleichgewichts auf den Bauch entstehen, riechen nach leichter Beute. 

Diebstähle passieren. Und ich bin der festen Überzeugung, dass sie allen und überall passieren können, egal wie gut man sein Eigentum geschützt glaubt. Wenn ich mich mal einen Tag in ein Café an einem belebten Platz in Paris setze, macht mich vor allem eins traurig: Diese Rucksack-Touristen sind der Spiegel einer Politik der Verunsicherung im öffentlichen Raum. Sie verkörpern einen Wachsamkeits-Imperativ, der alle um sie herum zu potenziellen Dieben werden lässt. Und dabei vergessen sie das, wofür man eigentlich Urlaub macht: Entspannung.   

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