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Was mir das Herz bricht: Menschen, die den Bus nicht mehr bekommen

Illustration: Daniela Rudolf

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Ich stehe im Bus auf dem Weg nach Hause, wie immer am frühen Abend ist er komplett voll. Die Türen schließen, der Busfahrer blinkt nach links, bereit zur Abfahrt. Da sehe ich aus weiter Ferne eine junge Frau: Sie rennt mit wehender Jacke, rudernden Armen und verzweifelt aufgerissenen Augen auf den noch stehenden Bus zu. Ein paar Mal rutscht sie auf dem glatten Januarboden fast aus, fängt sich wieder, rennt weiter. Eine Millisekunde bevor sie die hinterste Tür erreichen kann, tut sich eine Lücke im Berufsverkehr auf – der Bus schert aus. Beim Wegfahren kann ich aus dem Fenster sehen, wie die Frau mit hängenden Schultern an der leeren Haltestelle zurückbleibt und dem Bus nachschaut. Da macht mein Herz leise „Knack“.

Denn Menschen, die einem Bus oder einem anderen öffentlichen Verkehrsmittel nachrennen und es dann doch verpassen, brechen mir regelmäßig das Herz.

Im Winter ist es besonders schlimm. Wenn Kälte, Schneematsch und Wind den Boden in eine Eisbahn verwandeln, möchte sich niemand gerne besonders schnell fortbewegen. Umso größer ist das Mitleid mit den verzweifelt Eilenden. Man selbst muss sich das traurige Schauspiel hilflos ansehen, denn man steht ja schon im warmen Bus. Und kann nichts machen, außer alibimäßig von innen auf den „Tür-auf“-Knopf zu drücken (obwohl man eigentlich weiß, dass das eh nicht funktionieren wird). Manchmal entsteht kurz Blickkontakt mit dem Renner – in diesem Fall ziehe ich meist unbeholfen die Schultern hoch und mache ein Gesicht, das dem Renner (hoffentlich) sagt: „ICH WÜRDE DIR SO GERNE HELFEN, ABER ICH KANN NICHT!“

Besonders gemein: wenn der Renner den Bus sogar noch erreicht, bevor der abfährt. In dieser Situation kann man binnen weniger Sekunden eine riesige Bandbreite an Emotionen beobachten: Zuerst die Panik in den Augen, das Rennen, die Hektik. Dann ein kurzer Moment der Hoffnung und Freude – wenn der Renner bemerkt, dass der Bus doch noch länger stehen bleibt. „Ich kann es noch schaffen!“, scheint er sich selbst zu sagen. Schließlich die Verzweiflung: Der Renner steht vor der verschlossenen Bustür, drückt hektisch auf den schon längst verriegelten „Tür-auf“-Knopf, klopft gegen das Fenster, gestikuliert wild in Richtung des Busfahrers – bis der Bus ihm dann doch unwiederbringlich vor der Nase wegfährt. Ernüchterung.

Solche Menschen brechen mir nicht nur das Herz – ich bewundere sie gleichzeitig für ihren Ehrgeiz und ihre Motivation. Denn ich persönlich renne nur beim Sport – oder im Traum, wenn ich vor Monstern oder Räubern (ja, solche Gestalten kommen auch mit Mitte 20 noch in meinen Träumen vor) fliehen muss. Weil Sport in meinem Leben fast so selten ist wie Räuber und Monster, kommt es also tatsächlich fast nie vor, dass ich wirklich renne. Und die Wahrscheinlichkeit, dass ich alles gebe, den Bus aber dann doch verpasse, ist mir meistens zu hoch.

Und deshalb frage mich jedes Mal, wenn ich einen Busrenner sehe: Warum haben es diese Menschen so eilig? Sind sie womöglich auf dem Weg zu einem wichtigen Vorstellungsgespräch? Müssen sie ihr Kind von der Kita abholen, die in zehn Minuten schließt? Vielleicht hängt ja am Erwischen dieses einen Busses noch viel mehr. Vielleicht müssen sie danach noch in eine S-Bahn umsteigen und mit dieser dann zum Flughafen und einen Flieger nach Wien bekommen – und nur weil sie jetzt diesen einen Bus verpassen, werden sie die S-Bahn verpassen, und weil sie die verpassen werden sie den Flug verpassen, und was dann???

Solche Gedanken gehen mir durch den Kopf, während ich durch die beschlagenen Busfenster den traurigen, frustrierten oder verärgerten Menschen nachsehe, die wie bestellt und nicht abgeholt an der Bushaltestelle zurückbleiben. Allerdings: Nichts ist größer als die Freude, wenn es dann doch mal einer schafft. Und dann schwer keuchend und den Tränen nah neben mir im Bus steht. Da möchte man ihm fast kameradschaftlich auf die Schulter klopfen, „du hast es geschafft!“ rufen und den Arm des Renners in die Höhe strecken.

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