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Was mir das Herz bricht: Kleinunternehmer-DJs
Kochstudios sollten zum Kochen da sein. In meinem Innenhof liegt so eins, jeden zweiten Abend brutzeln sich hier Firmenabteilungen, Junggesellinnen oder Hobbyköche unter Anleitung von „echten Profis“ Gerichte mit einem „frechen Twist“ in Teflon-Samurai-Woks auf freistehenden Cerankochfeldern. Danach wird zusammen gegessen, bei „dem ein oder anderen guten Glas Wein und relaxten Beats klingt der Abend schließlich entspannt aus“, oder so ähnlich.
So weit, so tot, käme nicht ab der Hälfte der Veranstaltung auch noch ein Mensch hinzu, der mir jedes Mal aufs Neue das Herz bricht: Durch mein Fenster höre ich das Klackern seiner Rollkoffer, sehe dann wie er gebückt die dreiteilige mobile Lichtorgel und die zwei Boxen plus Teleskopstangen ins Studio trägt. Dann raucht er einsam eine letzte Zigarette, bevor er in den nächsten drei Stunden die mit den Gastgebern abgesprochene 80er-Groovy-Charthits-Playlist abfährt: DJ Bernhard.
DJ Bernhard gibt es in hundertfacher Ausführung, jeder hat schon mal einen gesehen: Um die 50, weiß-gelbliche Haare und Jeans, verblichener Glamour aus einer Zeit, in der Hawaiihemden noch unironisch cool waren. DJ Bernhard war mal ein Großer, hat vielleicht sogar mal am Gardasee aufgelegt und mit vielen Frauen aus fremden Ländern geschlafen.
Nun steht auf seinem Kleintransporter in Comic Sans-Lettern „Sie rufen an, ich lege auf!“. Mit ihm gurkt er Woche für Woche durch die Republik. Und zwar, so stelle ich mir es zumindest vor, von einem undankbaren, traurigen Anlass zum nächsten: Von der Kochstudio-Afterparty in Rostock zur Campingplatz-Freitagsdisco in Graal-Müritz-Ost.
Seine geliebten Schallplatten will dort kaum jemand hören, lieber die bestellte Mischung aus Hits, Hits, Hits. Oft fragt er sich dabei selbst, warum er den Scheiß überhaupt noch macht.
Das Publikum hat ihn nur selten erwartet, meist ist DJ Bernhard plötzlich da und keiner weiß so recht, was denn die laute Musik plötzlich soll. Man hat sich doch grad so nett unterhalten. Komm, wir stellen uns mal da rüber, weg von dem Lärm.
Wenn es schlecht läuft, bekommt er mit Mühe drei Kinder zu „Who Let The Dogs Out“ zum Wackeln, an okayen Abenden die Muttis zu „Billie Jean“. Wenn alle fort sind, streitet sich DJ Bernhard noch um die Höhe seiner lausigen Gage und fragt sich auf der dunklen Landstraße nach Hause, ob eigentlich noch irgendjemand mehr in Musik sieht als zweckmäßiges Hintergrundgeballer.
Aber vielleicht liege ich auch falsch. Vielleicht spielt DJ Bernhard zwischen all den Kochstudios auch mal bei einer unironisch coolen Hochzeit am Strand. Vielleicht bringt er dort hunderte schöner Menschen jeglichen Alters zum Tanzen, kann endlich auch spielen, was ihm selbst gefällt und schwankt am Ende der Nacht in den Armen einer Frau in weiß-gelblichen Jeans zu „Albatross“ von Fleetwood Mac im Sonnenaufgang hin und her. Und mit dieser Erinnerung im Kopf weiß er dann selbst bei den nächsten fünf Kochstudio-Gigs vielleicht noch, warum er den Scheiß überhaupt macht.