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Was mir das Herz bricht: Greifautomaten

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Neulich war ich in einem sehr schönen Land und habe etwas sehr Trauriges gesehen. Ich trat aus der tropischen Sonne und dem fröhlichen Trubel hinein in eine Shopping-Mall, denn dort war es kühl. Ich ging eine Runde im ersten Stock und dann eine im zweiten. Dort blieb ich vor einem Laden stehen, der zur Hälfte aus einem Raum voller Bälle bestand. In den Bällen lagen große Teddybären wehrlos auf dem Rücken, und an der Wand hingen noch mal zwei, mit schlaffen Gliedmaßen und sehr treuen Knopfaugen, die Teddybärenkinne auf die Teddybärenbrust gedrückt. Über allem, von der Decke hängend, thronte (oder drohte) ein riesiger metallischer Greifarm, mit dem man die Teddybären einfangen konnte, die sowieso niemals weglaufen würden.  

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

"Knack"

Der Greifautomaten-Raum hieß "The Big One Crane" und war wegen seiner Größe besonders traurig. Aber Greifautomaten sind das eigentlich immer. Auf der Dorfkirmes in meinem Heimatort gab es jedes Jahr einen und "The Big One Crane" hat mich daran erinnert, wie schlimm ich ihn immer fand. Um jeden Greifautomaten zieht sich ein Kreis aus Traurigkeit. Seine Außenlinie verläuft um die Menschen herum, die ihre Nase an den Automaten drücken und Münzen hineinwerfen, um ihn benutzen zu können. Mit Hebeln steuern sie den innenliegenden Greifarm, der sich immer viel zu langsam und ruckelig bewegt. Damit versuchen die Menschen, ein Stofftier zu greifen, das aber immer wieder aus den Greifarmfingern fällt, so lange, bis das Geld aufgebraucht ist und der Automat stillsteht. Ich habe schon viele Kinder weinen sehen, die es wieder nicht geschafft haben, den süßen Hund zu angeln. Ich habe schon Erwachsene verzweifeln sehen, die es ebenfalls nicht geschafft haben und deren Kinder dann neben ihnen greinten. Oder ganz schrecklich enttäuscht waren, weil Papa statt des süßen Hundes nur das rosafarbene Schweinchen erwischt hat, das das Kind aber gar nicht haben wollte. Greifautomaten sollen Spaß machen und jeder soll sich selbst seinen Preis rausangeln können. Stattdessen sind sie Scheiterautomaten: Menschen scheitern an der eigenen Motorik und Konzentration, Eltern scheitern an den Ansprüchen ihrer Kinder und Kinder an den eigenen Gefühlen.  

Im Zentrum des Traurigkeits-Kreises befindet sich natürlich der Inhalt des Greifautomaten. Manchmal sind Bälle drin (etwas Rundes ist besonders schwer zu greifen), manchmal Süßigkeiten, in den meisten Fällen aber Stofftiere (etwas Plüschiges lässt sich besonders gut greifen – denkt man). Die liegen dann über- und untereinander, manche mit einem Grinsen im Gesicht oder mit traurigen Augen, und sehen aus als seien sie eben gerade gestorben. Erstickt im Glaskasten. Oder zertrampelt (die kleine Katze vom Nashorn). Oder erwürgt (der braune Teddy vom weißen). Klar, es sind nur Stofftiere, aber die sind ja gemacht worden, um niedlich zu sein und ein bisschen menschlich, sie sollen Beschützer- und Liebhabeinstinkte wecken – und das tun sie auch, wenn man sie da so hingeworfen liegen sieht, bloß dass man vor lauter Zuneigung und Mitgefühl verzweifelt statt entzückt zu sein. Ich denke bei diesem Anblick sofort an Leichenberge und an sehr viel Leid und Einsamkeit. Mindestens aber an Tierheime, die ja auch klassische Herzensbrecher-Orte sind. Wenn man dann noch bedenkt, dass Greifautomaten meistens auf Jahrmärkten und Kirmesplätzen herumstehen, die an sich schon eine seltsam provinzielle, aus der Zeit gefallene Traurigkeit ausstrahlen (siehe die Herzensbrecher-Folge zu "Karussells"), kann man nur noch resignieren und sich unter die Bettdecke wünschen.  

Der Laden mit dem Greifautomaten-Raum in der Shopping Mall war übrigens geschlossen. Das "Wir haben geschlossen und sind darum nur sparsam beleuchtet"-Licht hat alles noch schlimmer gemacht. Noch Leichen-Kühlraum-mäßiger. Das hat mir mein Herz gebrochen. Das "Knack" hallte durch die große Mall und alle hielten eine Sekunde inne, um dem brechenden Herzen hinterher zu lauschen.   


Text: nadja-schlueter - Illustration: Katharina Bitzl

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