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Was mir das Herz bricht: Dünne Männer mit Bauch

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Und dann traf ich den dünnen T. am Flughafen wieder. Er war auf dem Weg in den Urlaub und sah fast aus wie früher: Er trug ein T-Shirt, das etwas zu weit war, die Uhr an seinem Handgelenk wirkte wie ein Armreif an einem Inka-Skelett. Der dünne T. und ich waren mal Klassenkameraden, wir waren beide sehr dünn. Und wie alle dünnen Jungs waren T. und ich von unseren Körpern verwöhnt, ohne es zu wissen.  

Als dünner Junge kann man sonntags drei Stück Apfelstrudel mit Vanillesoße schaufeln und wird dafür von der Oma gelobt. Der Metabolismus hält einen zuverlässig in sehniger Schlankheit, ohne dass man sich je Gedanken über Kohlenhydrate oder Laufschuhe machen müsste. Die zwei dicken Jungs in unserer Klasse meldeten sich krank, wenn Hochsprung im Stundenplan stand. T. und ich bekamen immer eine zwei.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Knack!Am Flughafen sah ich: T. hatte immer noch Schultern, die so schmal sind, dass man keinen allzu schwer beladenen Rucksack dranhängen möchte. Aber etwas war neu: diese leicht konvexe Rundung über seinem Gürtel. In diesem Moment spürte ich ein leichtes Ziehen in der Brust.T. beginnt, einen Bauch anzusetzen. T. ist nicht dick, er ist immer noch dünn, aber er ist kein dünner Junge mehr. Er ist jetzt ein dünner Mann, der sich noch nie Gedanken über Laufschuhe gemacht hat. Weil er es nie musste. Nur ist sein Körper nicht mehr 14. Sein Metabolismus hält T. zwar noch insgesamt schlank, aber die Schlankheit ist nicht mehr sehniger Natur. Sie wird jetzt teigig-klapprig.   Wenn stämmige Männer älter werden, bekommen sie Bäuche. Sie füllen ihre T-Shirts in XL nicht mehr nur an den Schultern und Oberarmen, sie drücken nun auch mit dem Bauchnabel dagegen. Stämmige Männer bleiben massig und männlich. Sie bekommen nur als Add-On eine füllige Gemütlichkeit dazu. Es ist ein würdevoller Übergang vom jungen kraftstrotzenden Körper hin zum rüstigen Silberrücken. Dünne Männer, denen einen Bauch wächst, verströmen hingegen nur wenig Rüstiges und schon gar nichts füllig-Gemütliches. Der Bauch dünner Männer wirkt schlaff und schwach und schnarchig, zumal er häufig mit eingesunkenen Schulterblättern, knorrigen Ellbogen und einem blassen Teint einhergeht, die allesamt schreien: Hier ist jemand, der zeitlebens immer drei Stück Apfelstrudel essen konnte und trotzdem im Hochsprung eine Zwei bekommen hat! Nur hat er den Moment verpasst, in dem er dieses Privileg verloren hat.Jedesmal, wenn ich einen dünnen Mann sehe, dem das Hemd über dem Gürtel spannt, zieht es seither in meiner Brust. Weil der Bauch eines dünnen Mannes mich daran erinnert, dass es nicht mehr bergauf geht, wenn man das Leben mal körperlich betrachtet. Es ist ein ähnlich ungutes Gefühl, wie wenn ich Gleichaltrige mit beginnender Halbglatze sehe oder Exfreundinnen mit Kinderwagen. Es brennt mir dabei die Einsicht ins Bewusstsein: Verdammt nochmal, ich werde alt. Und verdammt nochmal, egal wie voll mein Haar ist, ich werde bald auch einen schlaff-schnarchigen Dünnmännerbauch vor mir hertragen. Es sei denn, ich denke endlich mal über Laufschuhe nach.Text: jan-stremmel - Illustration: katharina-bitzl

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