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Was mir das Herz bricht: Dampflok-Jogger im ICE-Kostüm

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Am Anfang steht ein Vorsatz. Und ehe man sich versieht, steht der Vorsatzmachende an der Kasse eines Sportgeschäfts. Auf dem Laufband: eine „Windstopper Active Shell“-Jacke, ein T-Shirt „Pro Combat Core Compression Mock 2.0“ und eine Dreiviertel-Laufhose mit „Quick-Dry-Funktion“. Nicht zu vergessen: neue Treter (Gelsohle) und Pulsuhr. Kostenpunkt: knapp 600 Euro.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Knack!

Wer je versucht hat, sich selbst das Gitarrespielen beizubringen, weiß, wie es läuft. So wie ich vor drei Jahren: Zu Beginn war meine Motivation riesig. Euphorisiert habe ich die Gitarre gekauft, Tutorials und Musikvideos geschaut und für mich gedacht: Das kann ich auch bald. Jeden Tag 20 Minuten üben, dann wird das schon. Einfach dranbleiben. So habe ich mich diszipliniert, wieder und wieder die gleiche Akkordfolge geübt und – irgendwann die Lust verloren. Die Fingerkuppen fingen an zu schmerzen, ehe ich vom John-Frusciante-Solo überhaupt träumen konnte. Mein Antrieb verkümmerte regelrecht. 

Auf den Waldwegen der Nation sind derweil jene unterwegs, die gerade noch das Sportgeschäft leer räumten. Hier sieht man sie in den frühen Abendstunden, eingepackt in Windstopper, Core Compression und Gelsohle. Am Hüftgürtel hängt eine dieser Plastik-Trinkflaschen, um den Kopf herum spannt ein weißes Schweißband. Es ist eine neonfarbene Ausrüstung, die schreit: Hier kommt Ironman. 

Nur: Auf den zweiten Blick stimmt etwas nicht mit diesen Ambitions-Schleudern. Da ist eine Kluft, so groß wie zwischen SPD und AfD. Man weiß: Das wird nie zusammengehen. Dabei ist es unerheblich, ob der Läufer groß, klein, dick, dünn, rund oder schmal ist. Es geht nicht um Fitness. Es geht darum, dass diese besondere Spezies des Joggers mit der Wahl des Equipments in die Welt brüllt, was sie gerne wäre. Sie wäre gerne: ein ICE. Aber sie ist: eine Dampflok.

Und genauso sieht das dann auch aus. Schwerfällig setzen sie sich in Bewegung, stöhnen kurz auf und geraten in einen behäbigen Trab. So, als hätte gerade jemand eine Schippe Kohlen nachgelegt.  Sie schnaufen und japsen. Und werden kurzdrauf schon wieder langsamer. Die Kohlen sind aus. Mit wenigen Schritten konterkarieren sie all das, was ihre Kleidung proklamiert. Nein, sie sind kein ICE. Ein Ironman schon lange nicht. 

Auch ich, der ich mir vor einigen Jahren das Gitarrespielen beibringen wollte, sah es irgendwann ein: Nein, ich bin kein John Frusciante. Nicht einmal ein drittklassiger Punk-Gitarrist. Aber, und das ist der Unterschied zwischen mir und all den Joggern, die die deutschen Parks bevölkern: Mein Scheitern war privat, das der anderen geschieht in aller Öffentlichkeit. Es bricht mir das Herz.

Text: michel-winde - Illustration: Katharina Bitzl

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