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Was mir das Herz bricht: traurige Vormieter

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Sie steht hinten im Türrahmen zum Schlafzimmer, ihr Mann rückt ein paar Zeitschriften auf dem Wohnzimmertisch zurecht. Beide tragen Pantoffeln aus Filz. Beide wissen nicht so recht, was sie hier eigentlich gerade sollen.   In der Wohnung laufen noch etwa zwölf weitere Personen in Paaren herum. Sie blicken sich um, sprechen leise miteinander. Sie tragen Straßenschuhe. Und sie wissen sehr genau, was sie wollen: diese Wohnung. Die Wohnung der Pantoffelträger.   Ein Massen-Wohnungsbesichtigungstermin in einer Großstadt wie München ist nie eine schöne Angelegenheit. Besonders schlimm ist so ein Termin aber, wenn die Vormieter auch da sind, weil sie dem Makler oder Besitzer aufsperren müssen. Wenn die Wohnung noch ihr Zuhause ist und ihr Leben in jeder Ecke und auf jedem Regalbrett noch deutlich sichtbar, gleichzeitig aber klar ist: Das war’s dann bald. Bald kommt hier der Umzugswagen und irgendjemand schleppt einen Farbeimer herein und übertüncht jede Spur dieses Lebens. Das bricht mir das Herz.   Die Vormieter müssen zusehen, wie Menschen ihr Zuhause in Gedanken umkrempeln, vorfreudig überlegen, wo sie den Esstisch hinstellen könnten und wo den Fernseher. Sie haben vielleicht schon einen Meterstab dabei und wägen möglichst nüchtern und sachlich die Unzulänglichkeiten und Vorteile der Wohnung gegeneinander auf, und das, während sie in den privatesten Bereichen von völlig Fremden stehen. Das Schlafzimmer wirke ja recht dunkel. Ob man die Einbauküche wohl übernehmen muss? Tja, das Bad, das könnte man natürlich schon schön gestalten, mit ein bisschen Händchen.   Bei den Pantoffelträgern ist es besonders schlimm. Ihre schöne Wohnung liegt im Dachgeschoss, es ist ein wolkenloser Tag, man kann die Sonne hinter den Dächern verschwinden sehen. „Ja, es war schon eine gute Zeit hier“, sagt die Pantoffel-Vormieterin im Türrahmen, als man an ihr vorbeigeht ins Schlafzimmer, in dem hinten aus dem Wäschekorb ein Unterhemd hervorlugt. Und weil einem das unangenehm ist, murmelt man etwas, „hallo, eine schöne Wohnung haben Sie“, und dann antwortet sie eben und erzählt noch ungefragt, dass sie und ihr Mann jetzt ja schon über 60 seien und nicht wüssten, wie lange das noch gut gehe mit dem vierten Stock ohne Aufzug, und naja, da hätten sie jetzt eben den Schritt gewagt, aber leicht sei es ihnen nicht gefallen und sie würden die Wohnung bestimmt vermissen.   Aber selbst wenn die Vormieter kein altes Ehepaar sind, das nach 15 Jahren auszieht, oder kein junges, das ein Kind bekommen hat und deshalb jetzt keine zwei vollen Gehälter mehr bekommt, mit denen sich die Miete leicht bezahlen lässt – Vormieter bei Besichtigungsterminen bieten immer ein elendes Bild. Selbst wenn sie vielleicht in eine andere schöne Wohnung ziehen und das alles also gar nicht schlimm ist – traurig ist es trotzdem. Denn sie verkörpern die Vergänglichkeit. Den Prozess, in dem aus einem Zuhause plötzlich ein Objekt wird, bei dem es um Wirtschaftliches geht: um Quadratmeter, Nebenkosten, Kaltmiete und Kaution. Die Vormieter sind für die meisten Besucher, die hier durchtrampeln, nicht mehr die Bewohner dieser Wohnung. Sie sind Ballast, Altlast, allerhöchstens noch Quelle für ein paar Informationen jenseits dessen, was der Makler zu berichten weiß: Hört man die Trambahn denn sehr laut hier oben? Scheint die Sonne auch im Winter über das Hausdach gegenüber? Ist das Haus hellhörig?   Ein paar Stunden geht das so. Leute kommen, Leute gehen, der Makler verteilt Grundrisse auf A4-Papier, macht sich Notizen über die Bewerber, sein Handy klingelt ständig. Die Vormieter müssen sich jeden der Besucher als potenziellen Nachmieter vorstellen. Als denjenigen, der bald schläft, wo sie jetzt schlafen. Und trotzdem sind es nicht sie, die darüber entscheiden, wer ihnen nachfolgt. Sie sind zwar emotional viel enger mit der Wohnung verbunden als der Vermieter, haben aber keinen Einfluss auf ihr Erbe. Und ihre Pantoffeln werden keine Spuren hinterlassen. Text: christian-helten - Illustration: katharina-bitzl

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