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Was mir das Herz bricht: Menschen mit Ton-in-Ton Outfits

Illustration: Daniela Rudolf

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Wer sich zum Feiern ganz in schwarz kleidet, kann relativ sicher davon ausgehen, dass der Türsteher kein Problem damit hat. Auch im Alltag ist man mit dem Minimal-Chic auf der sicheren Seite. Das ist aber leider auch die einzige Farbe (und ja, schwarz ist auch eine Farbe!), bei der das Ton-in-Ton-Konzept aufgeht. Immer wieder sehe ich in der U-Bahn Menschen, deren rotes Oberteil nicht ganz den Farbton ihrer roten Hose trifft oder die ganz in grün getaucht aussehen wie ein überdimensionales Ampelmännchen. Die Vorstellung, dass sie dieses Outfit wohl kaum zufällig gewählt haben, bricht mir das Herz.

Sie erinnern mich an meine exzentrische Kunstlehrerin, die zur passenden Einheitsfarbenkluft sogar noch den gleichfarbigen Schmuck und die passende Lesebrille trug. Ein gefundenes Fressen für garstige Teenager. Gemeine Mobber gingen sogar soweit, andere Mitschüler mit dem Namen der Kunstlehrerin zu rufen, sollten sie es wagen, mal Ton in Ton in der Schule aufzukreuzen. Vielleicht ist es die Erinnerung an diese eigentlich sehr souveräne Frau, die ihre Persönlichkeit so bestimmt kreativ unterstreichen wollte und dabei am Ende einfach nur als kauzig wahrgenommen wurde, die mich so traurig macht.

Sie sehen aus wie ein Rothko-Gemälde ohne Kontraste

Mein Herz wird auch nicht leichter, wenn ich darüber nachdenke, was diese Menschen morgens vor dem Spiegel antreibt. Wollen sie besonders exzentrisch, gar frech wirken? Glauben sie, wenn sie nur eine Farbe wählen, kämen sie schlichter durch den Alltag? Oder haben sie am Ende vielleicht ein Rot-Grün-Schwäche und ich bin der gemeinste Mensch der Welt, sie für ihren Stil zu bemitleiden? Die Antworten auf diese Fragen können nur betrüben. Am Ende ist es leider völlig egal, was sie sich gedacht haben: Sie haben ihr stilistisches Ziel jedenfalls verfehlt und sehen leider aus wie ein misslungenes Rothko-Gemälde, dem die Kontraste fehlen.  
Oder wie Gemüse. Komischerweise muss ich immer, wenn mir diese Ton-in-Ton-Menschen im Alltag begegnen, an Gemüse denken. Da, ein Lauch! Eine Tomate! Eine Karotte! Die Analogie lässt mein Herz noch ein bisschen mehr knacksen: Irgendwie sehen diese einfarbigen Menschen verkleidet aus, obwohl weder Fasching noch eine Mottoparty ansteht. Man könnte darüber hinwegsehen, so wie über die ganzen anderen verrückten Outfits, die einem bei einer langen U-Bahn Fahrt über den Weg laufen – wären sie nicht so verdammt auffällig. Die fleischgewordenen Farbkleckse stechen greller aus der Masse hervor als jeder noch so durchgepiercte Punk. 
An dieser Stelle ist vielleicht eine kurze Farbenlehre der Traurigkeit nötig. Denn eine Ausnahme gibt es tatsächlich, bei der ich davon ausgehe, dass das Ton-in-Ton-Tragen tatsächlich zu mehr Anerkennung im sozialen Umfeld führt: der Onesie, oder auch der Klassiker: der Adidas-Zweiteiler. Bei Berliner Jugendlichen, die dazu Silberkette und Nike-Cap tragen, oder bei Menschen über 60, die mit der Rente auch dem gesellschaftlichen Zwang entsagt haben, kann dieses Outfit durchaus für Street-Credibilty sorgen.
Die machen aber auch keine Experimente mit der Farbpalette. Denn es ist ja vor allem dieses leichte Abweichen der Farbtöne, das helle zum dunkleren Rot oder Grün, das bei den anderen Ton-in-Ton-Gekleideten als massive Unsicherheit mitschwingt und sich am Ende als stilistisches Versagen in ihrem Outfit manifestiert. Sie wollten etwas durchziehen und sind dann irgendwo auf dem Weg dorthin gescheitert. Entweder, weil das rote T-Shirt schon ein paar Mal mehr gewaschen wurde als die rote Hose, oder, weil sie in ihrem Umfeld keine ehrlichen und lieben Menschen haben, die ihnen sagen, dass sie aussehen wie ein weichgespülter Wellensittich. 
Damit meine Augen sich von dem Farbflimmern regenerieren können und auch, um diesen Menschen nicht das Gefühl völliger Deplatzierung zu geben, zwinge ich mich deshalb einfach, wegzusehen. Um mein Herz wieder ein bisschen zusammenzuflicken rede ich mir ein, dass diese Menschen vermutlich schon lange so durchs Leben gehen und vor lauter misslungener Exzentrik vielleicht einfach längst über allem stehen. Selbst über dem Flimmern ihrer eigenen Erscheinung.

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