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Was mir das Herz bricht: ehrgeizige DJs am falschen Ort

Illustration: Daniela Rudolf

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Mein Herz bricht an einem Abend, fast schon Nacht, in einer hinreichend coolen Bar. Dort steht ein DJ und wartet, dass es losgeht. Es heißt: dass die Menschen, die seit einer, vielleicht zwei Stunden aus dem kahlen Raum, dessen zu leere Luft eben noch nach Gin und Zigaretten roch, einen magischen Ort machen, einen place to be, eine Bar eben, in der alles passieren kann, denn deshalb geht man ja hin; dass diese Menschen, endlich reagieren, auf das, was er spielt. Dass sie tanzen. 

Spiel doch mal was, was alle kennen!

 

Erst langsam, verträumt, als müssten sie die Bewegungen wieder lernen, sich aufwärmen, bis sie, wenn er einen Gang hochschaltet, die Arme in die Luft werfen, lachen, schneller trinken. Auf dass der Abend endlich aufhöre und die Nacht beginne.  

Aber sie tanzen nicht. Niemand. Nicht einmal der derangierte Langzeitstudent, der jeden Abend da ist und für den die Barkeeper extra billigen Rum bereithalten. Nicht einmal das Au Pair Mädchen aus Kanada, das schon beim Laufen aussieht, als würde es tanzen, irgendwas ist mit ihren Beinen, etwas ziemlich Gutes, findet der DJ, aber jetzt nicht. Jetzt steht sie am Tresen, einen Ellenbogen aufgestützt, Glas in der Hand. Und alle machen es ihr nach. Statt Moves kopieren sie Stillstand.

Der erste abschätzende Blick des Barkeepers ist über ihre Köpfe zum DJ geflogen, just, als er diese nächste großartige Platte in die Hand nahm. Was Rares, eine Perle, kennen die wenigsten, ist aber ein super Track, trotzdem oder gerade deswegen. Aber ist er jetzt der richtige?

Dabei hat er sich das hier alles genau überlegt. Langsam anfangen, gegen halb zehn langsam die 100 BPM überschreiten, nicht zu früh die Munition verballern, damit um 12 alle ausrasten. Aber wenn es so weitergeht, rastet hier niemand aus, höchstens die Gruppe vorne links, die schon bei den Shots angekommen ist und langsam zappelig wird, aber keine Ohren hat für seinen Sound. Er weiß, er würde sie schneller auf die Tanzfläche schicken als sie „noch eine Runde“ sagen können, mit einem, er hasst dieses Wort: Hit. Einem Klassiker. Etwas, das jeder kennt.

Er hasst diese Worte, weil er weiß, dass einer aus der Gruppe, der Betrunkenste, sie gleich in sein Ohr brüllen wird, obwohl die Musik gar nicht so laut ist: Spiel doch mal was, was alle kennen!, wird er rufen. Oder: Ich weiß einen Song, bei dem garantiert alle tanzen! 

Heute wurde er bestellt, um seine Musik zu machen. Nur: sie interessiert niemanden.

 

Beobachten wir den DJ von der Bar aus weiter, wie er die nächste Platte auflegt, natürlich nur Vinyl. Er hat den Laptop dabei, für alle Fälle, und auf dem lauert auch der ganze Schrott, weil manchmal sind ein paar Scheine, schwarz rübergeschoben, genug, um ihn in die musikalische Prostitution zu treiben. Heute aber, heute ist er der Act, nicht die Party. Heute wurde er bestellt, um seine Musik zu machen. Nur: sie interessiert niemanden. Das weiß er. Er ist lang genug dabei. Volle Bar, schnell geleerte Gläser, aber niemand tanzt – last night a DJ killed my vibe.

Was also tun?  

Als er aus den Augenwinkel wahrnimmt, wie sich jemand aus der Gruppe löst, wie der Barkeeper mit den Achseln zuckt, weil ihn jemand nach der Musik gefragt hat, wie der Langzeitstudent mit dem Knie wackelt, aber nur wegen des scharfen Schnaps, wie die Kanadierin ein Gähnen unterdrückt – da zerbricht etwas in ihm. Schon wieder. Er sieht sich, alleine mit dem Barkeeper, dem Studenten und der abgestandenen Luft den Laden zusperren, etwas zu früh, weil alle etwas zu früh heim sind, weil etwas zu wenig Stimmung aufkam, weil etwas fehlte.

Und er sieht sich noch einmal, ganz anders, verschwitzt und eine Ausnahme-Kippe hinter den Plattenspielern rauchend, weil jetzt ist auch egal, weil vor ihm wogt die Menge, und die Kanadierin wirft ihm Kusshände zu und dreht sich um die eigene Achse, immer wieder, als zöge die Musik sie in eine Umlaufbahn um sich selbst. Der DJ seufzt. Dann klappt er den Laptop auf, tippt „Hits“ in die Suchleiste, findet die Playlist und gibt auf. 

Eine, vielleicht zwei Stunde später klopft ihm der erste auf die Schulter, prostet ihm die dritte zu, feiern ihn die Menschen, egal wie sehr er sich hinter seinem Gin Tonic versteckt. Noch ein bisschen deutschen Hiphop, dann kann er ohne Bruch in die 90er abgleiten, er kennt den Drill, er hat es tausend Mal gespielt, tausend Mal ist was passiert. Links von ihm ext der Barkeeper sein Bier, er kommt kaum nach mit Bestellungen. Rechts von ihm knutschen die ersten zwei, und der DJ versucht mit zittrigen Fingern einen sauberen Übergang von Soddom zu Gomorrha zu mixen. 

Müde sieht er aus, die heißen Wangen glänzen fiebrig, als müsste sein Körper eine Krankheit bekämpfen, die über seine Ohren in ihn dringt. Äußerlich lebendig, innerlich schon halbtot. Er blickt noch einmal auf, durch die Menge, das Meer der zappelnden Glieder, direkt hindurch an die Bar zu mir. In seinem Blick liegt Schuld, Scham und ein irres Flackern, DJ Bobo!, scheint es mir zuzurufen, jetzt ist auch egal.

Und mein Herz bricht.

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