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Auch Herzen können Herzen brechen

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„87,61 Euro wären das“, sagt der Verkäufer an der Supermarktkasse. Die Frau mit dem Familiengroßeinkauf räumt noch drei Becher Joghurt in ihren Korb, greift in ihre Jackentasche und holt ihr Portemonnaie heraus. „Sammeln Sie die Herzen?“, fragt der Verkäufer. Lächelnd. Milde, höflich, mit einem Hauch Vorfreude in der Stimme. Siebzehn Herzen wären das! Er greift zur Rolle mit den Sammelstickern, die wie ein Briefbeschwerer auf den Pfandbons liegt. Bis ihn die Kundin mit einem scharfen „Nein, wirklich nicht!“ bremst. Und der Verkäufer seine Hand schnell wieder zurück zieht.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert



Niemand will die Herzen. Die Studentin mit dem Kasten Bier nicht. Der Managertyp mit dem Bordeaux in der Hand gleich dahinter in der Schlange nicht. Die Mädels mit dem Riesenvorrat Chips und Schokoküssen nicht. Keiner will je diese Herzen. Weil keiner einen Topf will, der angeblich statt 90 nur 28 Euro kostet, wenn man ein paar Sticker auf einen Zettel klebt. Die Menschen wissen, dass es eine doofe Aktion ist. Ich weiß das auch. Trotzdem liegen in meiner Wohnung verstreut, in meinem Geldbeutel und auf dem Schreibtisch im Büro mehr als dreißig Streifen mit Treueherzen-Stickern.

Ich bringe es nicht übers Herz, in der Schlange an der Kasse die Fünfte zu sein, die keine Herzen will. Es bricht mir das Herz, wie der Verkäufer jedes Mal ein bisschen trauriger guckt, wenn wieder jemand gelangweilt den Kopf schüttelt. Oder einfach geht ohne zu antworten und den Kassenbon, den er herüberreicht, einfach ignoriert. Und wenn er den nächsten trotzdem fragt, weil er ja fragen muss. Ich schaffe es nicht, auch noch „nein“ zu sagen. Wenn es Treue-Sterne, Treue-Einkaufswagen, Treue-Punkte wären. Aber Herzen! Herzen! Ich kann nicht anders. Ich nicke meistens, lächle, und nehme die Herzen. Während meines gleich noch mal bricht, weil er sich so darüber freut, weil seine Augen leuchten, und er mir acht statt zwei Sticker für meine Tüte Milch und den „Spiegel“ in die Hand drückt.

Nichts ist schlimmer als etwas, das niemand haben will. Vor allem, wenn es umsonst ist. Die Fitnessstudio-Flyer in der U-Bahn-Station, die Zeitungen (Der Wachturm!) und Bücher, die in der Innenstadt, oft aus irgendwelchen religiösen Gründen, verteilt werden. Und diese Treuepunkte, die es inzwischen in fast jedem Supermarkt, in Drogerien und an Tankstellen gibt. Ich frage mich: Werden die Verkäufer geschimpft, wenn die Sticker-Rolle am Abend immer noch voll ist? Wenn ich nach der Arbeit Bergkäse fürs Abendessen kaufe und am Morgen darauf gleich noch mal dort bin, weil ich dringend Joghurt brauche, ist die Rolle meistens immer noch so dick wie am Tag zuvor. Nehmen die Verkäufer sie am zweiten Tag abends mit nach Hause, damit es nicht auffällt?    

Ein drittes Mal bricht mein Herz, wenn ich irgendwann doch jemanden an der Supermarktkasse explizit nach den „Herzen“ verlangen höre. In meiner Vorstellung sind das auch die Menschen, die Logos auf Tütensuppen ausschneiden, auf eine Postkarte kleben und an die Firma schicken, um eine Suppenschüssel zu bekommen.

Und ein viertes Mal bricht es, wenn ich in der Wohnung oder in meinem Geldbeutel wieder einen Treueherzen-Sticker-Streifen finde. Der so völlig nutzlos ist. Und das nicht erst bei mir zu Hause. Sondern schon ab dem Zeitpunkt, an dem die Sticker zusammengerollt an der Supermarktkasse liegen. Trotzdem überlege ich, bald eine Payback-Karte zu beantragen. Die Frau in der Drogerie guckt nämlich auch immer so enttäuscht.

Text: kathrin-hollmer - Illustration: Katharina Bitzl

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