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"Sag doch mal was auf Russisch"

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Natürlich kann man das „Russisch“ in diesem Hauptsatz durch jede beliebige Sprache ersetzen, einzige Voraussetzung – sie muss in diesem Moment des Gesprächs einigermaßen Exotik versprechen. In sehr müden Gesprächsrunden kann man sogar darum gebeten werden, etwas auf Voralbergerisch oder Niederbayerisch zu sagen, sollte man versehentlich seine Verbindung zu diesen Sprachräumen erwähnt haben. Es wird eben allgemein für lustig befunden, wenn einer, der gerade noch ganz normal gedeutscht hat, auf einmal so merkwürdige Laute erzeugt. Eine schnelle Kopfreise in die Ferne erhoffen sich die Zuhörer.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Für gewöhnlich weigert und windet sich der Polyglotte dann aber erstmal ein paar Minuten lang, bis er schließlich doch etwas auf Russisch sagt, meistens so etwas, das „Prost!“ heißt oder „Gute Besserung“ oder einen anderen Satz von dieser Güteklasse, wie sie auch in jedem Reiseführer auf der ersten Seite stehen. Kaum sind die fremdländischen Silben verklungen, ist allen Beteiligten leider fürchterlich langweilig. Es ist genau das eingetreten, wovor der Bedrängte Angst hatte, nämlich dass diese kleine Sprachshow überhaupt nichts erwirkt hat: keine Hochachtung, keinen Gefallen und noch nicht einmal irgendeinen Sinn, weil es ja keiner verstanden hat. Alle nicken nur vage anerkennend und drucksen so rum und dann kommt hoffentlich bald ein anderes Thema und lässt sich in der Mitte nieder. Ein Großteil dieses Misserfolgs liegt leider auch beim Fremdsprechenden selber, weil er nie einen guten Satz für diese absehbare Gelegenheit parat hat, sondern eben nur Banalitäten zur Aufführung bringt, wie „Bitte alle aussteigen.“ oder „Eins, zwei und drei“. Da denkt das Publikum freilich gleich, der hat in Indien oder Finnland aber auch gar nichts Besonderes erlebt und fragt sich, ob das Ausland an diese Person nicht doch ein wenig verschwendet war. Deswegen sollte man mindestens die ersten vier Zeilen eines saftigen Nationalepos rezitieren können oder aber gleich einen Satz nur für diese Situation einstudieren. Zum Beispiel: „Die Liebe meines Lebens traf ich an einem lichten Julitag gegen halb sechs Uhr abends. Sie saß auf einem strohblonden Esel und duftete nach Jasmin und Coca-Cola!“. Das bekannt tönende Wort Coca-Cola am Schluss ist ein perfekter Cliffhanger für die neugierige Runde. Wer diesen Satz bei Bedarf in allen Sprachen aufsagt, die er beherrscht und hinterher noch die Übersetzung liefert, der darf sich des Neides und des sofort eintretenden Fernwehs der anderen gewiss sein. Die Herren werden sich respektvoll am Kinn ziehen und die Frauen werden schmachtend an die Entführung aus dem Serail denken. Viel mehr kann man von einer müden Gesprächsrunde nicht erwarten.

Text: max-scharnigg - Illustration: Katharina Bitzl

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