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"Ich hätte noch Umzugskartons, falls ihr welche braucht."

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Das Anbieten von gebrauchten Umzugskartons gehört heute zum guten Ton, sobald jemand von wohnlichen Veränderungen berichtet. Außerdem und ähnlich wie beim Signalwort „Weisheitszähne“ nehmen die Mitmenschen allein die Erwähnung des Wortes Umzug zum Anlass, ihre diesbezüglichen Schauergeschichten zu erzählen. Genüsslich werden die Grauen der temporären Parkplatzreservierung, die Zeitnot beim Einpacken und das Desaster beim Auspacken geschildert. Zum Trost für denjenigen, der das noch vor sich hat, werden ihm danach die Kartons angeboten, die von der verlorenen Schlacht übrig sind.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Voll guten Mutes kauft sich der Umziehende trotzdem im nächsten Baumarkt 15 neue Kartons. Mehr kauft niemand, die 15 sind schon Ärgernis genug. Denn im Rohzustand, also nicht gefaltet, sind sie sperriger als eine ganze Fichtenschonung. Gefaltet steht so eine Kiste dann recht klein vor der riesigen Bücherwand, die in sie verpackt werden soll. Der interessante Wesenszug der Umzugkartons ist nun folgender: Kaum hat man ein paar Stücke, sagen wir zwei Aktenordner, ein paar Heftchen und einen Locher hineingestapelt, ist der Karton auf wundersame Weise so voll, dass sich der Deckel nur mit Mühe zusammen falzen lässt. Der Umziehende sieht folgerichtig nicht nur das Umzieh-Ende in weiter Ferne, sondern auch seine Kartonvorräte schnell schwinden und so greift er bald auf die Angebote der anderen zurück. Schließlich kommt an Ungeilheit kein Einkauf dem abermaligen Kartoneinkauf im Baumarkt gleich. Es zieht der Arme also Kartonreserven aus dem ganzen Viertel zusammen, um endlich all seinen Nippes und Papierkram in Kisten zu kriegen. Die anderen freuen sich, kaum einer fordert die Dinger nach Benutzung zurück und nur die sehr fernen Bekannten verlangen pro Stück auch noch einen Euro. Zu den Wundern eines Umzuges gehört nun, dass man am Ende mehr Kartons transportiert, als die Wohnung überhaupt bewegliche Einzelteile hatte. Und die neue, große Wohnung ist gar nicht mehr so groß, weil nämlich ein Drittel für Kartonage draufgeht. Die Kisten tragen, je nachdem wie lange ihr Pappleben schon dauert, die haarsträubendsten Ordnungs-Graffiti auf ihren Rücken, manchen ist gar noch in Sütterlin „Krimskrams / Küche“ eingeritzt. Diesen Haufen loszuwerden ist nun die letzte Aufgabe des Umziehenden. Er muss in Gesprächen aufmerksam auf den Moment lauern, in dem ein anderer von einer Wohnungsbesichtigung erzählt und dann den Hauptsatz loswerden. Eines Tages wird der andere vor der Türe stehen und von einer unangenehm voluminösen Bücherwand berichten. Und zack, ist man sie wieder los.

Text: max-scharnigg - Illustration: Katharina Bitzl

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