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Hilfe, bitte lösch' das sofort!
Der Selbstauslöser meiner Casio hat gerade zwei Bilder von mir gemacht: Ich, in Bärentöter-Pose auf Artikeln und Aufsätzen kniend, in denen etwas zum Aussterben der Filmkamera steht. Auf dem ersten Bild zwirble ich mit den Augen, auf dem anderen sind ganz viele Kinne zu sehen. Nun also, ein Druck, ein kurzes Speicherkarten-Seufzen und die Bilder sind vernichtet. Zumindest so lange, bis in zwei Jahren ein RTL-Team meine Tür eintritt, und mir die Bilder vor die versammelten Kinne hält: "Tjaha, und Sie dachten, Sie hätten die gelöscht." In den erwähnten Artikeln übrigens, wird das Verschwinden der Filmkamera zwar redlich beklagt, aber man bahnt auch dem digitalen Foto eine Gasse. Praktischer wäre das und schneller sowieso. Und, möchte ich anfügen, es schafft ganz neue, liebenswerte Verhaltensaufälligkeiten im heimischen Straßenbild. Dieser seltsam krampfige 90-Grad-Winkel der Arme etwa, während sie zur Motivsuche eine Digitalkamera vors Gesicht schwenken. Oder das umgehende und entrückt-stumpfe Betrachten des gemachten Bildes, als zwingende Reaktion auf jeden Auslöserdruck. Unlängst hatte ich die Ehre, Körperzeuge einer Trauung zweier verknallter Menschen zu werden. Sämtliche angereisten Brautväter verbrachten selbst den "Ja"-Moment in stiller Andacht auf den kleinen Bildschirmen ihrer Kameras.
„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.
Sobald man sich in hemmungsloserem Umfeld bewegt, etwa im Freundeskreis, kommt zu diesen Stereotypen der Digitalfotografie noch das After-Shoot-Rudel. Es entsteht, sobald der Trottel mit der Digitalkamera ein Aufmerksamkeitsdefizit verspürt und deswegen beim nächsten Glotz auf sein Gerät etwas verlauten lässt, wie "Jaha-hu-he, wie seht ihr denn aus?" Da hält es dann auch eingegurtete Rhönrad-Fahrer nicht mehr in ihren Ringen - alles umstürmt den tropfigen Fotografen und mindestens einer sagt, im Innersten getroffen, den Satz mit "Hilfe" und "lösch das".
Denn das ist das Gemeine am digitalen Sofortbetrachten: Es ist so unerträglich einszueins. Die Zeit, die ein Film während seines Entwickelns verstreichen ließ, bot selbst für die schlimmsten Ansichten, die man danach von sich in der Hand hielt, eine Entschuldigung. Es war eben nicht der Ist-Zustand, sondern irgendwann vor drei Wochen, noch mit den langen Koteletten oder mit der Maulwurfs-Mütze - halb so schlimm, was interessiert mich mein Gesicht von gestern! Das ist natürlich mit dem Instant-Ergebnis der Digitalen vorbei. Da bleibt nur die schiere Akzeptanz der Katastrophe. Oder eben das unterwürfige Flehen um Löschung.
Text: max-scharnigg - katharina-bitzl