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„Hier klaut doch keiner was.“
Aus der Kindheit schleppt man ein ganzes Bündel irrer Ängste mit sich herum. Die Angst, von einer Dampfwalze überfahren zu werden, die Angst, an einer winzigen Sardinen-Gräte zu ersticken, die Angst, nach dem Zahnarztbesuch so ein buntes Halstuch um Backe und Kopf tragen zu müssen und eben auch die immerwährende Angst, Dinge würde geklaut. Diese letzte Angst führt zu einer ganze Reihe an reflexhaft ausgesprochenen Beschwichtigungs-Hauptsätzen, wann immer wir ein Fahrrad, ein Büchereibuch oder eine Gießkanne unbeaufsichtigt irgendwo stehen zu lassen gezwungen sind.
Mit „Kannst du ein bisschen auf meine Sachen schauen?“ laden wir das unangenehme Gefühl dann erstmal auf die Schultern von Unbeteiligten ab. Der Satz gewordene Tranquilizer „Bei mir ist eigentlich nix Wertvolles drin.“ rechnet dann schon fest mit dem Verlust der Badetasche und mündet oft in der mühsamen Eigenüberzeugung „Das klaut doch eh keiner.“ oder eben „Hier klaut doch keiner was.“
Diese letztere Hoffnung argumentiert doch deutlich mit dem Ort, an dem sich Eigentümer und Wertgegenstand aufhalten. Allgemein als sicher geltende Orte außerhalb der eigenen vier Wände sind:
Gemeinschaftsbüros von befreundeten Kreativen, in deren Treppenhaus man seine Tasche stehen lässt, während man mit den Kreativen Mittagessen geht.
Umkleidekabinen von sympathisch-verschnarchten Sportvereinen in der Provinz. Neuseeland und andere grundfreundlich konnotierte Landstriche, zum Beispiel auch das Alte Land hinter Hamburg und mittlere Nationalparks, sowie kleine, ärmliche Zirkusse.
Städtische Sitzbänke die gegenüber von Polizeirevieren liegen.
Ja, eigentlich werden alle Orte mit diesem Hauptsatz bedacht, an denen wir uns von einer grundsolidarischen Gemeinschaft umfangen fühlen, zum Beispiel auch Arthouse-Kinos oder Beatclubs, die noch nicht jeder kennt. Hier geht man davon aus, dass die Aura des versammelten gemeinsamen Gutfindens sämtliche Langfinger, Strauchdiebe und Halunken schon abschrecken wird, quasi Autan der Friedfertigkeit.
Leider warnt die Polizei aber ebenfalls seit unserer Kindheit mit dem zeitlosen Schockerspruch „Gelegenheit macht Diebe“, welcher jederzeit imstande ist, den Hauptsatz mühelos zu entkräften. Zerknirscht schreiben Besitzer von Arthouse-Kinos und Beatclubs deswegen in ihren Newslettern, dass „leider auch bei uns“ gelegentlich was wegkommt und man doch bitte die notorischen Wertgegenstände nicht aus den Augen lassen sollte. Aus solchen Mitteilungen tropft dick die Enttäuschung, dass es mit dem Hauptsatz also leider gar nicht hingehauen hat. Weil wir uns aber einfach nicht an die Schlechtigkeit der Welt gewöhnen, werden wir ihn auch weiterhin benutzen – und zwar überall dort, wo wir ihn gerade nötig haben.