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Hauptsatz: "Am meisten vermisse ich das deutsche Brot"

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Manche Komplexe tröpfeln mir nur langsam und wie warm gewordenes Calippo-Eis ins Bewusstsein. Zum Beispiel: Ich war noch nie länger im Ausland. Mir fehlt dieser abenteuerliche Schauer, mit dem man das eigene Klingelschild irgendwo an einer Palme oder Pyramide befestigt. Mir fehlen die wilden Erlebnisse beim Kontoeröffnen in einer Sprache, die man zwar leidlich spricht, in der man aber trotzdem diese ganzen Bank-Fachausdrücke null versteht. Heimweh kenne ich nur aus dem Duden und ich durfte auch noch nie diesen schönen Hauptsatz aussprechen, der zum Gepäck eines Auswanderers gehört wie gute Hoffnung.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Nun ist mein Leben trotz dieser internationalen Versäumnisse nicht gerade arm an Auswander-Problemen. Im Gegenteil, die Sorgen der Exilanten häufen sich bei mir daheim wie die Zettel der Pizzadienste, denn das Fernsehen spuckt sie mir rund um die Uhr ins Zimmer. Falls der Fernseher mal stumm ist, rufen mich meine sieben schlimmen Schwestern oder ehemalige Bandkollegen mitten in der Nacht an und erzählen mir, dass sie gerade in einer total witzigen Telefonzelle am Südpazifik stehen. Im Hintergrund klingt es aber nicht nach Südpazifik, sondern nach Bundeskegelbahn. Dieses dumpfe Gepolter stammt, wie die lieben Anrufer dann erläutern, von „so verpeilten Typen“ aus Baden-Württemberg, die sie irgendwo kennen gelernt haben. Denn das Kennenlernen von verpeilten Typen aus Baden-Württemberg oder Belgien stellt einen ganz wesentlichen Teil jedes längeren Auslandaufenthaltes dar! Mit ihnen, so entnehme ich der Übersee-Brüllerei, solle gleich zu einer deutschen Bäckerei getrampt werden, die angeblich nur 80 Meilen entfernt im Busch oder in der Taiga echtes Brot herstellt. Denn bei aller Abenteuerlichkeit und Verpeiltheit: Das deutsche Brot, das würde ihnen doch wirklich abgehen, sagen die Anrufer. Natürlich habe ich weder meine sieben Schwestern noch meine Bandkollegen je genussvoll deutsches Brot essen sehen. Immer gierten sie doch nach Baguette und Weißbrot und Zuckerkringeln. Jenes Graubrot, für das sie dort in Flipflops durch die Serengeti laufen, war ihnen hier so genehm wie ein voller Mülleimer. Die Anrufe werden dann für gewöhnlich bald unterbrochen und ich höre nur noch das Rauschen des Pazifiks, das, wie jeder weiß, in Wirklichkeit nur das Blut in meinen Ohren ist. Jedenfalls bin ich danach wach in meiner Graubrot-Welt und schalte den Fernseher ein. Dort erklären die Auswanderer, mittlerweile schon am Flughafen in Frankfurt, dass sie wahrscheinlich das deutsche Brot am meisten vermissen werden. Sie wissen das schon. Ihre lieben Familienangehörigen, die mit lauter Hunden mit zum Flughafen gekommen sind, hören das natürlich nicht so gerne. Sie wollen gefälligst mehr vermisst werden als das dumme Graubrot! Darauf lächeln die angehenden Auswanderer nur wissend: Wie können wir Daheimgebliebenen schon den verwirrend-schönen Zauber der Ferne verstehen?

Text: max-scharnigg - Illustration: Katharina Bitzl

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