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"Du hast aber gute Augen."

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Manchmal strenge ich mich richtig an, nur um diesen Satz aus meinen Mitmenschen rauszupressen. Wenn wir zum Beispiel auf einem Bahnsteig stehen und die digitale Anzeigentafel in 100 Metern Entfernung die Minuten bis zur nächsten Bahn runterzählt, sage ich ganz wie nebenbei: Ah, noch zwei Minuten. Obwohl ich die Zwei höchstens mit brennenden Pupillen erahnt habe – es könnte locker auch eine Sieben sein. Aber das prüft nie jemand. Stattdessen reiben sich alle ungläubig ihre eigene Sehausstattung und sagen dann den Hauptsatz. Und ich freue mich, wenn ich für etwas Lob kriege, das ich schon so lange und so nebenbei mit mir rumschleppe, wie Augen. Während die anderen dann an ihren Brillen zupfen und sich gegenseitig die eigene Dioptrien-Zahlen auf allen möglichen Kanälen nennen, muss ich darüber nachdenken, wie seltsam es doch ist, dass wir alle unterschiedlich gute Ausrüstung haben. Ich also habe sehr gute Augen, meine Ohren aber sind allerhöchstens Ausschussware, wenn nicht gar Fälschungen aus Fernost, die man mir irgendwann am Zoll abnehmen wird wegen fehlendem TÜV-Siegel. Deswegen höre ich den Satz „Du hast aber gute Ohren“ auch nie. Aber klar, ich würde ihn auch nicht hören, wenn ihn jemand tatsächlich zu mir sagte. Andere haben zwar gute Ohren aber feige Misthaare, bei manchen sind die Knie die Schwachpunkte und was so in diesem Jahrhundert an Rücken verbaut wurde, scheint mir insgesamt rechter Schund zu sein. Wenn man bei der Blutabnahme ist, bekommt man standardmäßig Auskunft darüber, ob man schöne Venen hat. Selbst wenn man bis dato noch nie an die Attraktivität seiner Venen gedacht hat, freut einen ein nettes Wort dazu so sehr, dass man hinterher allen davon erzählen wird. Gibt es einen Menschen, bei dem alles, jede Mechanik und auch die Software in sehr guter Qualität sind? Der also ständig die betreffenden Hauptsätze für seinen gesamten Body hört? Bis hin zu den sehr seltenen Lobpreisungen: Du hast aber gute Kapillargefäße und: Du hast aber sehr gute Zehenzwischenräume (ZZR)? Bestimmt gibt es so jemanden, aber der ist dann wahrscheinlich anderweitig verkorkst. Zum Beispiel ist es vielleicht einer von den Menschen, die ihr Papiertaschentuch vor sich auf den Boden fallen lassen, mit dem unsinnigen Vermerk, das würde doch verrotten. Wer aber schon mal einen Wanderparkplatz voller vor sich hinrottender Papiertaschentücher gesehen hat, ist für die schönen Künste für immer verloren. Das ist aber auch wieder ein anderes Thema. Genau wie die Frage, ob man seine eigene Speiseröhre wiedererkennen würde, wenn sie einem auf der Straße entgegen käme.

Text: max-scharnigg - Illustration: Katharina Bitzl

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