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"Das gönn' ich dem aber total."

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Würde man die Steigerungsworte „total“ und „wahnsinnig“ aus unserem Vokabular streichen, würde die Zunge ganz oft ins Leere latschen, genau wie ein Fuß, der bei einem Automatikauto die Kupplung sucht. Alles muss entweder total schön oder wahnsinnig nett sein, sonst zählt es nicht. Um die Attraktivität dieser Wörter zu schmälern, müsste man schon eine Lifestyle-Zeitschrift nach ihnen benennen – „die neue TOTAL, alle 14 Tage am Kiosk“. Das ist die einzig wirksame Methode. Wörter, die zum Titel einer Lifestyle-Zeitschrift verkommen, werden sofort unmodisch und umgehend in den Schrank im Keller gehängt, wo schon die Begriffe „chic“, „urst“, „Stafette“ und „Yes!!!!“ hängen, auch wenn ich nicht sicher weiß, ob es schon mal eine Lifestyle-Zeitschrift Zeitschrift namens Urst gab. Ein Sonderfall ist das Wörtchen „dermaßen“, das auch sehr eifrig zum Steigern benutzt wird, nach dem man aber nie eine Zeitschrift benennen kann, höchstens eine, die im Untergrund erscheint, wo es so dunkel ist, dass eh keiner liest. Zurück zum Hauptsatz, der oft vor einem laufenden Fernseher gesprochen wird.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Nahezu alles Gesendete zwingt mich als Zuschauer ja zur Vergabe von Sympathiepunkten. Den einen aus der Jury mag ich, den einen, der da kocht finde ich wegen der Frisur unmöglich und der den Elfmeter verschießt, den mochte ich ja noch nie etc. Es ist eigentlich egal, was die derart Bewerteten so machen, ob sie also Quizfragen beantworten oder mit ihren Kindern und Hunden nach Andorra auswandern, um dort einen Leihhosen-Stand aufzuziehen. Es geht einfach nur darum, dass ich mit meiner Freundin abwägen kann, wie tief unterirdisch das heute dargebotene Fernsehvölkchen ist, oder wie stark man das diesem netten Herren aus Uelzen gönnen würde, Stefan Raab oder Günther Jauch zu schlagen. Im Grunde könnten wir uns zu all dem neutral verhalten, aber dann wäre das Fernsehen ja wirklich nur grundüberflüssige Zimmerbeleuchtung. Wenn ein Fernsehabend aber so etwas wie körperliche Befriedigung verschaffen kann, dann eben weil der von uns als Günstling auserwählte Kandidat gewinnt, der Leihhosen-Stand wie von uns inniglich erhofft pleite geht oder Menschenkind N.3789 in die nächste Runde von Germanys Next Menschenkind vorrücken darf. Dem gönnen wir’s und den anderen nicht. Es ist ein erbärmliches Mitrühren im Emotionsbrei, der frisch aus dem Pansen der Unterhaltungsindustrie über uns ausgekippt wird. Und wenn wir genug gegönnt und missgönnt haben, gongt es und wir fallen ins Bett, ganz erschöpft von unserer eigenen Großzügigkeit.

Text: max-scharnigg - Illustration: Katharina Bitzl

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