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„Danke, ich schau nur mal."

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Einer der größten Widersprüche unserer Generation verbirgt sich hinter diesem Satz. Wir benützen ihn immer dann, wenn wir ausnahmsweise nicht im Supermarkt, nicht im Elektro-Discounter oder Online-Kaufhaus einkaufen, sondern tatsächlich noch mal einen dieser echten, analogen, kleinen Läden betreten. Egal, ob Mini-Galerie, Geheimtipp-Boutique, Fachgeschäft für Zwischengrößen – das Problem bei diesen sympathischen Einrichtungen besteht darin, dass sie erstens sehr übersichtlich und zweitens bemannt sind. Nun sind wir theoretisch ja aber sehr für die kleinen Geschäfte zu haben. Wir wären vermutlich sofort bereit, gegen die Schließung eines x-beliebigen Tante-Emma-Ladens gewaltsam zu protestieren oder zumindest eine Facebook-Anti-Gruppe einzurichten. Unsere Eltern weinten, wenn alte Bäume gefällt wurden, wir weinen, wenn sie Tante Emma mit der Abrissbirne besuchen. Weil wir das vage Gefühl haben, die Bagger oder Immobilienspekulanten würden uns damit den aller- oder wenigstens vorletzten Teil einer etwas diffus empfundenen heilen Welt nehmen.

  Ich kann nicht genau erklären, wie unser Heile-Welt-Gefühl mit dem kleinen Kaufmann am Eck zusammenhängt, vielleicht haben wir als Kind nur zu viel Zeit mit Erich-Kästner-Hörkassetten verbracht. Jedenfalls, es sollen also diese Geschäfte mit ihren anheimelnden Ladenschildern und der entzückenden Türglocke bitte bis ans Ende der Zeit in unserer Straße fortbestehen, oder zumindest, bis wir in zwei Jahren wieder umziehen. Wir versprechen auch, bis dahin unseren Freunden unentwegt von der süßen alten Schneiderin und der reizenden, antiken Zirrhosen-Fachhandlung vorzuschwärmen und gelegentlich das „total anachronistische“ Schaufenster mit unseren ebenfalls anachronistischen Kameras zu fotografieren. Aber wehe, wir müssen doch mal richtig dort einkaufen. Zum Beispiel, wenn uns eingefallen ist, dass wir für die Kumpelhochzeit noch weiße Einstecktücher bräuchten und dafür „Herrenkonfektion und Damenoberbekleidung Willmer sen.“ genau richtig scheint. Da kollidiert unsere merkantile Romantik dann ziemlich schnell mit der Panik, ungenügend auf den unbedingten Dienstleistungswillen von Herrn Willmer sen. und sehr kleine Verkaufsräume im Allgemeinen vorbereitet zu sein.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert



  Wenn der Alte nämlich drei Sekunden nachdem jene entzückende Türglocke geklingelt hat, hinter den Tresen schlurft und fragt, was bitteschön es sein dürfte. Kann er nicht ein bisschen länger wegbleiben, aus seinem schönen Laden? An diesem Punkt wünschen wir uns doch in die anonymen Gänge der internationalen Modeketten zurück, oder in den stummen Frieden eines Onlineshops. Denn selbst wenn wir jetzt unseren Wunsch äußern, wird alles ganz anders sein, als in unserer Idee vom Einkaufen im kleinen Laden. Wir haben überhaupt keine Zeit, den Geruch nach altem Linoleum und Bohnerwachs einzusaugen und in den Regalen ein bisschen nach Schmunzelgrundlagen zu suchen, über die wir später im kleinen Kreis schmunzeln könnten. Herr Willmer wird stattdessen mit seiner bestimmt liebenswert gemeinten aber doch eben wahnsinnig mürrischen Art die einzigen weißen Einstecktücher auf den Tisch knallen und einen absurd hohen Preis nennen. Wir werden unfähig sein, uns aus diesem verhandlungstechnischen Schwitzkasten wieder zu befreien, bezahlen und stehen wieder auf der Straße. Gesamtzeit des romantischen Einkaufs: 40 Sekunden. Nicht mal eine Tüte haben wir bekommen. Deswegen sagen wir lieber schnell: „Ich schau nur mal“, jenen Satz, der uns auch in zu teuren Flagship-Stores und versehentlich betretenen Juweliers die Angestellten eine kurze Zeit lang vom Hals hält. Nur leider funktioniert er bei Herrn Willmer sen. nicht besonders gut. Denn er bleibt einfach hinterm Tresen seines kleinen Ladens stehen und schaut auch nur mal. Uns an.



Text: max-scharnigg - Illustration: Katharina Bitzl

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