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Gendern: Linguistin Luise F. Pusch über Gendersternchen und geschlechtergerechte Sprache
jetzt: Warum macht das Gendersternchen die Sprache nicht gerechter?
Luise F. Pusch: Durch einen Genderstern wird das Wort zerrissen und dadurch haben wir wieder die alte Lösung von früher. Ende der Siebzigerjahre wurde geschrieben: „Leser(innen)“, daraus wurde „Leser/innen“. Das Wort wurde in der Mitte gespalten, was symbolisiert, dass Frauen die zweite Wahl sind: „Wir reden hier von Lesern; Leserinnen sind unter Umständen mitgemeint.“
Das Sternchen besagt also: Das dritte Geschlecht ist zweite Wahl, Frauen dritte Wahl?
So sieht es jedenfalls symbolisch aus, auch wenn ich nicht glaube, dass es so gemeint ist. Aber es zerstört eine gewachsene feministische Lösung dieses Problems: das große I (wie in „LeserInnen“, Anm. d. Red.).
Transgender oder Intersexuelle sind bis zum Gendergap oder Gerndersternchen grammatikalisch gar nicht aufgetaucht. Ist es nicht noch schlimmer, wenn eine Gruppe sprachlich unsichtbar ist, als wenn sie sprachlich untergeordnet ist?
Viele Gruppen wurden oder werden grammatikalisch nicht gekennzeichnet, ihre Existenz wird aber im Wortschatz ausgedrückt, ob das nun Schwarze sind oder Menschen mit Behinderung. Für sie alle gibt es keine grammatischen Endungen – die gibt es nur für Frauen, das „-in“, was an sich schon diskriminierend ist. Es ist aber auch ein Argument der Menge: Die sprachliche Diskriminierung von Frauen betrifft 52 Prozent der Bevölkerung, die Transgender-Community macht weit weniger als ein Prozent aus. Natürlich hat sie auch sprachliche Rechte, und es ist richtig, dass sie in die Debatte um Männer und Frauen eingreift, weil es auch bei ihr um das Geschlecht geht – aber das Gendersternchen ist nicht die richtige Lösung.
Welche würden Sie stattdessen vorschlagen?
Mein Kompromissvorschlag ist, dass wir den Genderstern auf das kleine i setzen. Das löst alle Probleme: Das Wort hat immer noch eine weibliche Anmutung, das Sternchen ist da, zerreißt aber nichts. Ein i mit Stern gibt es auf den Tastaturen noch nicht, aber wir haben auch das @-Zeichen irgendwann auf die Tastaturen bekommen. Als Übergangslösung habe ich das Ausrufezeichen vorgeschlagen, anstelle des großen I, wie bei der Sängerin P!nk. Ich finde, das ist eine sehr praktische Lösung.
„Das weibliche Geschlecht wurde in der Sprache schon immer diskriminiert“
Sie beschäftigen sich seit 40 Jahren mit geschlechtergerechter Sprache und sagen bis heute, dass eigentlich das generische Femininum die Lösung Ihrer Wahl ist. Warum?
Das weibliche Geschlecht wurde in der Sprache schon immer diskriminiert: In der Grammatik ist vorgesehen, dass Bezeichnungen für Frauen aus denen für Männer abgeleitet werden, im Deutschen wird dafür ein „-in“ angehängt. Sprachsystematisch und von der Entstehung her betrachtet ist es mit dem „-in“ wie mit Eva aus Adams Rippe: Die Frau wird aus dem Mann abgeleitet und hat einen niedrigeren Rang. Die Marschallin im „Rosenkavalier“ ist zum Beispiel die Frau des Marschalls und hat keineswegs selbst die Funktion eines Marschalls. Außer für Frauen gibt es Ableitungs-Suffixe nur noch für kleine Gegenstände oder Unwichtiges: „-chen“, -„lein“, „-le“ oder „-el“: Brötchen, Mädchen, Fräulein, Spätzle, Mädel.
Das generische Femininum würde die weibliche Form stattdessen zur Hauptform machen.
Als wir angefangen haben, mit Doppelformen zu arbeiten, also „liebe Leserinnen und Leser“, war das generische Femininum eine Reaktion auf hämische Reaktionen seitens der Männer. Die haben gesagt: „Das mit euren Doppelformen kann ja kein Mensch aushalten!“ Meine Kolleginnen und ich haben zugestimmt: „Stimmt, es ist einfach zu lästig, die Männer immer mitzuerwähnen. Sagen wir halt ab sofort: ,Jede Leserin kommt zu ihrem Recht’. Punkt. Männer sind immer mitgemeint.“ Die Männer reden natürlich aus ihrer männlichen Perspektive, für sie bringt die Sprache nur Vorteile, warum sollten sie die aufgeben? Wenn die Frauen mehr an ihre eigenen Rechte und Interessen denken würden, hätten sie schon lange gesagt: „Ihr redet immer im Maskulinum, wir reden dafür im Femininum, meinen aber dasselbe wie ihr.“
Sollen wir also alle einfach unserem Geschlecht entsprechend sprechen?
Das ist eine mögliche Lösung. Ich habe das Ganze aber von vornherein als Zwei-Stufen-Modell konzipiert. Stufe eins: Wir müssen die Gesellschaft daran gewöhnen, dass es auch Frauen gibt, also zum Beispiel das generische Femininum statt des generischen Maskulinums verwenden.
Würden wir damit nicht die Ungerechtigkeit einfach umdrehen?
Die Frauen mögen den Männern oft nicht antun, was ihnen selbst angetan wird. Ich sage: Wir wollen mal ein bisschen nur für uns Politik machen! Immer zugleich die Interessen des politischen Gegners zu vertreten, ist doch Schwachsinn. Nach tausendjähriger Diskriminierung könnte doch mal 50 Jahre das generische Femininum benutzt werden. Das Weibliche sollte in der Sprache sichtbar und betont werden, weil da so viel nachzuholen ist.
„Sichtbar neutral wäre es, wenn ich sagen würde: das Arzt“
Und was ist dann die zweite Stufe?
Da setzen sich die Geschlechter oder ihre Vertreterinnen an einen Tisch und handeln eine Sprache aus, die gerecht und bequem ist. Denn was wir jetzt haben, das generische Maskulinum, ist bequem, aber ungerecht. Und die Sprache mit Doppelformen ist zwar gerecht, aber unbequem. Das will auch niemand.
Und das soll funktionieren? Am runden Tisch neue Sprachformen aushandeln und die dann einführen?
Normalerweise ist es nicht üblich, so über Sprache so zu verhandeln. Aber es gab ja vieles, was nicht üblich war, bis ein Thema so brisant wird, dass es plötzlich diskutiert wird. Über Enteignung wurde vorher auch nicht gesprochen. Warum soll also nicht darüber diskutiert werden, dass die Sprache gerechter werden muss? Es ist ja offenbar wirklich ein Thema für viele.
Herauskommen würde vermutlich, dass es eine neutrale Form ohne Suffix gibt und drei Endungen: für männlich, weiblich und non-binär.
Das wäre gerecht und die naheliegende Lösung, wenn wir alle drei Geschlechter genau benennen wollen. Der Sprachforscher Matthias Behlert hat ein solches System schon in den Neunzigerjahren vorgeschlagen.
Im Deutschen gibt es ja ein Genus, das neutral ist: das Neutrum. Warum benutzen wir nicht einfach das?
Das wäre eine gute Lösung. Das substantivierte Partizip im Plural wird ja auch schon gerne verwendet, zum Beispiel „die Studierenden“. Aber das ist eine neutralisierte Form, keine sichtbar neutrale. Im Singular wird das Genus durch den Artikel deutlich: „die/der Studierende“. Im Plural „die Studierenden“ wird der Genusunterschied neutralisiert.
„Das Maskulinum ist heute wirklich nicht mehr, was es einmal war“
„Neutral“, „neutralisiert“ – wo ist der Unterschied?
Sichtbar neutral wäre es, wenn ich sagen würde: „das Arzt“. Aber das Neutrum erinnert viele an Gegenstände oder an Tiere und das empfinden sie als diskriminierend. Sprachsystematisch ist es die gegebene Lösung, aber aus sprachgeschichtlichen Gründen nicht, wegen der Assoziationen, die es auslöst. Die lange Vergangenheit der Sprache hindert uns in vielen Fällen, das systematisch Naheliegende zu wählen. Wir müssen auf vielen Ebenen lavieren, deswegen ist das alles so kompliziert.
Wenn Sie zurückblicken, würden Sie sagen, dass wir in den vergangenen 40 Jahren Fortschritte in Sachen geschlechtergerechte Sprache gemacht haben?
Es hat sich in Windeseile sehr viel geändert! Normalerweise dauert es Hunderte von Jahren, bevor sich in der Grammatik was ändert. Aber das Maskulinum ist heute wirklich nicht mehr, was es einmal war. Es wird nicht mehr fraglos als neutral akzeptiert, sondern stark in Frage gestellt. Es ist ja auch absoluter Blödsinn, dass etwas sowohl maskulin als auch neutral sein kann! Wir haben in der deutschen Sprache übrigens ein wunderbares Beispiel dafür, was wirklich neutral ist.
Und zwar?
Das Pferd. Es heißt „das Pferd“ und dann haben wir „die Stute“ und „der Hengst“. Aber wenn der Oberbegriff gleich einem Unterbegriff sein soll, das ist doch absurd!
Wir haben es im Deutschen aber auch ein bisschen schwerer als in anderen Sprachen. Im Englischen ist die Sache leichter.
Das Englische hatte früher auch drei Genera, genau wie „der“, „die“ und „das“ im Deutschen. Das hat sich aber durch phonetische Gegebenheiten abgeschliffen: Alles wurde zu „the“. Das könnten wir auch, wir würden dann „de“ sagen: de Mann, de Frau, de Kind. Unsere ausländischen Mitbürgerinnen wären wahrscheinlich froh darüber.
„Wir behaupten ja keineswegs, dass nur die Sprache geändert werden soll. Wir arbeiten an allen Fronten“
Das Englische ist aber auch bei neuen Lösungen weiter. Dort wird ja zum Beispiel das Pronomen „they“ verwendet, für Menschen, die sich als nicht-binär definieren.
Das wurde schon im 15. Jahrhundert verwendet, wenn nicht klar war, ob Mann oder Frau, einer oder viele. Die Comiczeichnerin Anna Heger macht sich darüber Gedanken fürs Deutsche: Sie hat zum Beispiel „sie“ und „er“ zusammengezogen zu „sier“, fand dann aber, dass es zu sehr nach „sie“ klingt. Darum hat sie daraus „xier“ gemacht. Das wird dann durchdekliniert. Da kommen alle möglichen Formen bei heraus, die der Sprachgemeinschaft wahrscheinlich auf den Geist gehen. Aber ich denke, in diese Richtung wird es gehen müssen, wenn wir Gerechtigkeit üben wollen.
Ein Argument gegen geschlechtergerechte Sprache ist, dass sie nichts bringt, solange es gesellschaftlich keine Geschlechtergerechtigkeit gibt. Die Debatte sei also eigentlich viel zu nebensächlich.
Diesen Vorwurf höre ich seit 40 Jahren. Erstens: Wir behaupten ja keineswegs, dass nur die Sprache geändert werden soll. Wir arbeiten an allen Fronten, wir wollen gerechte Sprache und gerechten Lohn. Daran bestand auch nie ein Zweifel. Zweitens: Recht haben diese Kritiker insofern, als die Arbeit an der Sprache nichts kostet. Deswegen haben so viele Frauenbeauftragte, die ja sonst keine Mittel in die Hand bekamen, gerne auf diesem Gebiet gearbeitet, um überhaupt ein Stück vorwärts zu kommen. Drittens würde ich behaupten, dass das Gegenteil der Fall ist: Im Zeitalter der Information gibt es überhaupt nichts Wichtigeres als die Sprache. Ohne die Sprache gäbe es unsere Unterhaltung hier nicht, es gäbe keine Zeitungen, es gäbe kein Internet. Wenn in der Sprache, die all diesen Medien zugrunde liegt, die Frauen nicht vorkommen, ist das eine ganz massive Diskriminierung, die uns auch noch als normal und naturgegeben verkauft wird! Es galt auch mal als naturgegeben, dass die Frau für den Mann gemacht ist und gebären oder am Herd stehen soll – und wie wir wissen, war das gelogen.
Empfinden Sie die aktuelle Debatte um geschlechtergerechte Sprache noch als konstruktiv oder sind die Fronten zu verhärtet?
Ich finde, die Debatte ist erfreulich lebhaft! Viele beteiligen sich daran. Es ist allerdings auffällig, wie viele meiner früheren Kollegen jetzt plötzlich laut werden und in der Zeit, der FAZ oder der NZZ ihre Aufsätze veröffentlichen, nachdem sie die Debatte 30, 40 Jahren lang ignoriert haben. Als emeritierte Germanistik-Professoren haben sie aktuell nicht mehr viel zu melden, niemand achtet auf sie, und darum kommen sie bei dem Thema jetzt nochmal raus, weil sich die Konservativen über ihre Äußerungen freuen. Menschlich verstehe ich das, aber es ist natürlich etwas nervig. Allerdings wird auch durch diese Beiträge und wenn Frauen sich dagegen wehren, die Debatte viel lebhafter, als sie es noch vor zehn Jahren war. Und ich bin darauf eingestellt, dass es noch ziemlich lange so weitergeht.
Sie haben also noch viel zu tun?
Absolut.