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Erdogans Bedrohung

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Was in den vergangenen Tagen in der Türkei geschehen ist, könnte man als eine Art Ritterschlag für Twitter bezeichnen. In der Marketingabteilung des Mikrobloggingdienstes dürfte man sich die Hände gerieben haben, als man las, was die Nachrichtenagenturen in den vergangenen Tagen meldeten. 

Erst wurde der türkische Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan, gegen dessen Politik gerade Zehntausende im ganzen Land protestieren, zitiert wie er über soziale Netzwerke schimpfte und Twitter dabei namentlich erwähnte: „Es gibt eine neue Bedrohung namens Twitter“, sagte er laut Guardian, Social Media sei die „größte Bedrohung für die Gesellschaft“. Am Mittwoch berichteten türkische Medien dann, dass in Izmir, einer Stadt in der Westtürkei, Twitterer festgenommen worden seien, angeblich mehr als 25, nach weiteren werde im Augeblick gefahndet.  

Festnahmen? Wegen Twitterns? Offenbar. Die Gründe, so liest man, seien irreführende und beleidigende Informationen gewesen. Der Oppositionspolitiker Ali Engin konnte wohl auch nicht glauben, was da geschehen ist; er ging zu den lokalen Behörden, um mehr über die Festnahmen herauszufinden. Engin sagte, die Twitternutzer seien wegen Aufrufen zum Protest verhaftet worden. „Wenn das ein Verbrechen ist, haben wir alle dieses Verbrechen begangen.“   

Um wen es sich bei den Festgenommenen handelt, ist bislang nicht bekannt.  Aber man kann mutmaßen: Der Twitter-Account mit dem Namen @gafebesi war in den vergangenen Tagen eine der kritischsten und lautesten Stimmen der Erdogan-Gegner, meinungsstark und sehr oft retweetet. Seit Dienstag Mittag schweigt der Account. Mehr noch: Es wurden Tweets bis zurück zum 2. Juni gelöscht. 

Diese Ereignisse zeigen: Die Proteste im Netz und die Aufrufe via Twitter sind der Regierung Erdogan ziemlich unangenehm. Sonst würde wohl nicht so ein Aufhebens darum gemacht.  

Die Zahl der Tweets ist enorm, sie steigt seit Beginn der Proteste an. Vor allem unter dem Hashtag #Occupygezi, benannt nach dem Park, dessen Bebauung am Beginn der Proteste stand, äußern die türkischen Twitterer ihren Unmut und dokumentieren mit Links zu Fotos und Videos Tränengasangriffe und weitere Szenen von Polizeigewalt und verletzten Demonstranten. Ähnliches ist unter den Hashtags  #geziparki #direngeziparki (Diren = Leiste Widerstand) oder #dayangeziparki (Dayan = Halte durch) zu lesen.  

Die meisten von ihnen kamen direkt aus den Zentren der Proteste und verbreiteten sich international weiter, wie eine Auswertung von geogetaggten Tweets zeigt. Genau das ist den Protest-Twitterern auch wichtig. Für sie haben die sozialen Netze eine enorme Bedeutung. Denn sie fühlen sich von den heimischen Medien in der Türkei im Stich gelassen, wenn nicht sogar für dumm verkauft. Die Proteste tauchten nämlich vor allem zu Beginn der Proteste erstaunlich selten in den Nachrichten auf. Das eklatanteste Beispiel, das in den vergangenen Tagen immer wieder angeführt wurde: Während die Polizei begann, Tränengas einzusetzen und CNN darüber berichtete, strahlte der türkische Ableger des Senders eine Doku aus. Über Pinguine. Putzige Tierchen statt Protest. Die Medien in der Türkei werden mit Verordnungen und Gesetzen an ziemlich kurzen Leinen gehalten. 

Und so nahmen die Demonstranten die Berichterstattung über ihre Proteste gleich selbst mit in die Hand. Und das nicht nur über Twitter, der Hashtag begann schnell auf andere Medien abzufärben: #occupygezi wurde auch namensgebend für einen Tumblr-Blog, einem ewigen Bilderstrom der Proteste. Auch hier sieht man Bilder von Demonstranten und Festnahmen, aber auch fotografische Randnotizen und sogar lustige Szenen. Über einen Tweet wurden wahrscheinlich auch viele Spender auf die Seite eines ungewöhnlichen Crowdfunding-Projekts: Gebeten wurde um Geld für eine ganzseitige Anzeige in der New York Times oder in der Washington Post, die auch außerhalb von Twitter und der Türkei Aufmerksamkeit auf Erdogans Politik und den Umgang der türkischen Exekutive mit den Protesten lenken sollte.  

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert



So eine anzeige in der New York Times kostet mehr als 50.000 Dollar – das Geld war binnen 24 Stunden zusammen. "I just put it on Twitter, used the hashtag. It just grew,” sagte Initiator Murat Aktihanoglu zu msnbc. Am Freitag soll die Anzeige voraussichtlich erscheinen.   

Solche Ereignisse zeigen: Was Erdogan gesagt hat, ist nicht gänzlich von der Hand zu weisen. Twitter ist vielleicht wirklich eine Bedrohung. Allerdings wohl eher nicht für die Gesellschaft, sondern für ihn.

Update: Die Anzeige, für die die türkischen Demonstranten Geld sammelten, ist mittlerweile in der New York Times erschienen.

Text: christian-helten - Foto: afp

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