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Germany's Next TV-Hysterie
Foto: dpa-Bildfunk 1. Lass dir die Urlaubspläne von Politkern wie Kurt Beck und Markus Söder sowie einschlägig bekannter „Medienwächter“ geben. Bestehe darauf, dass die Sendung dann startet, wenn niemand aus dieser Gruppe im Urlaub ist. Du wirst später verstehen, warum. 2. Integriere ein Element in die Sendung, bei dem die Zuschauer teure 0190er-Nummern anrufen müssen – und überlasse die profitable Abwicklung dieser Zuschaueranrufe dem Springer-Verlag. 3. Auch wenn dir und dem Sender durch diesen Schritt eine lukrative Einnahmequelle verloren geht – du stellst damit sicher, dass auch in der Anfangsphase, wenn niemand die Sendung sehen will jeden Tag auf der Titelseite der BILD-Zeitung darüber berichtet wird. 4. Nun ist es Zeit für die Moral: Schon bei der Konzeption der Sendung hast du darauf geachtet, dass sie am Abendbrottisch kontrovers diskutiert werden kann. Folgende Spannungsfelder haben sich als fruchtbar erwiesen: Privatsphäre, Überwachung, Psychostress, Menschenwürde, individuelle Ekelgrenzen, Kleintiere und neuerdings: Magersucht. 5. Wenn du die Punkte 1 bis 4 beachtet hast, werden nun aufgebrachter Bürgerinnen und Bürger empörte Briefe an Verbaucherschutz-Zentralen, die Kommission für Jugendmedienschutz (KJM) und die Freiwillige Selbstkontrolle Fernsehen (FSF) schicken. 6. Nimm rechtzeitig Kontakt mit Angehörigen der Teilnehmer deiner TV-Show auf. Sie sind wichtiges Kapital, da sie sowohl mit selbst gemalten Anfeuerungsschildern in der Sendung auftauchen, als auch außerhalb als Betroffenheits-Testimonials fungieren können. 7. Der Ton der BILD-Berichterstattung muss sich nun leicht verschärfen. War anfangs alles noch ein ganz lustiger Fernsehspaß, ist es nun an der Zeit, Begriffe wie „Folter-TV“, „Ekelfernsehen“ oder „Horror-Erlebnis hinter den Kulissen“ auszupacken. Direkt neben der Frage „Darf man so etwas zeigen?“ müssen natürlich großformatige Abbildungen der beanstandeten Geschmacksverletzung zu sehen sein. Unter der Überschrift „Und das kommt auf uns zu“ kann außerdem perfekt Werbung für die nächste Folge gemacht werden. 8. Jetzt ist es Zeit, die Medienwächter loszulassen: Zuerst ein paar Hinterbänkler, die hoffen, mit einem derart populistischen Thema unsterbliche Flammenherzen in die Stammtische des Landes einzuritzen. 9. Vorsicht! Es wird Leute geben, die die Moraldebatte, die nun langsam Fahrt aufnimmt mit einem beruhigenden „Ist doch nur Fernsehen – da gibt es doch immer noch den Aus-Knopf“ zum Erliegen zu bringen. Solche liberalen Weicheier kannst du nun ganz und gar nicht gebrauchen. Tragödien in der Realität müssen her. 10. Besonders geeignet: Nervenzusammenbrüche der Kandidaten oder jugendliche Nachahmungstäter. Sondiere für letztere die Lokalpresse, irgendwo gibt es immer Halbstarke, die sich in einem Wäldchen am Stadtrand die Hand wegsprengen. 11. Jetzt, wo das Meinungsterrain von den Spähern sondiert und für narrensicher befunden wurde, werden die größeren Geschütze aufgefahren: ZDF-Intendanten, Generalsekretäre, Familienexperten und Jugendschützer müssen flankiert von Grundgesetzexperten, Diplom-Psychologen und anderen Spezialisten aus der Datenbank deines Senders gegen die Sendung protestieren. 12. Nun können auch die restlichen Medien das „Phänomen“ nicht länger ignorieren und werden Interviews mit deinem Senderchef führen und im Zweifelsfall Harald Schmidt um Rat fragen. Und bis die Monatsmagazine mit ihrer langen Vorlaufzeit auf das Thema reagiert haben und ihre großen Essays „(Un)schöne neue Fernsehwelt – kennt die Quotengier keine Grenzen mehr?“ veröffentlichen, hast du die erste Staffel schon mit hervorragenden Quoten nach Hause gefahren. Und kannst dir den USA-Urlaub leisten, den du brauchst, um das nächste Format auszusuchen, das du für den deutschen Markt klaust. "Germany's Next Top Model by Heidi Klum" läuft mittwochs um 20.15 bei ProSieben.