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Du und die Aerobic
1. Das Outfit Fühl dich wohl, sagen die Ratgeber. Stimmt auch. Denn wenn du da so dämlich wie lange nicht rumhüpfst, dann fetzt es noch weniger, wenn der Tanga kneift oder das Shirt schmerzhaft Hautfalten abquetscht. Ebenso unpraktisch ist es, alle drei Sprünge die Hose zurechtzuppeln zu müssen. Also ab in die Sachen, die passen und sitzen. Gut aussehen muss das nicht. Das tut da niemand. Bestehst du dennoch auf Style und Hochkarat, dann aber bitte mit Stirnband!
„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.
Illustration: karen-ernst 2. Vorbereitung Du musst dich nicht wie der Muskelprotz da hinten schon einmal durch alle Aufwärmübungen hetzen, aber ein bisschen Dehnung und leichtes Laufen ist nicht schlecht. Dann glänzt die Haut schon nett und das Gesicht hat schon eine gesunde Farbe. Du brauchst dich auch nicht zehn Zentimeter länger dehnen als du bist. Hinstellen, jeweils einen Fuß an den Hintern und aufpassen, dass die Haltung dabei aufrecht bleibt. Und danach noch ein bisschen nach imaginären Äpfeln greifen. Dann kann keiner sagen, du hättest keine Ahnung. 3. Die Musik Wirf deinen Geschmack über Bord. Hier wird nur gespielt, was alt ist und Bumms hat. Das muss nicht schön und kann auch wirklich unangenehm sein. Modern Talking neben Cindy Lauper und ein bisschen Scooter am Schluss. Dazu lässt es sich prima auf der Stelle watscheln und den Kreuzschritt ausführen. Manchmal schleicht sich aber doch ein Lächeln auf die Lippen, wenn längst vergessene Hits den verspiegelten Teppichbodenraum beschallen. Und man gewöhnt sich an alles. Man ist eh die meiste Zeit damit beschäftigt, die Gliedmaßen in richtiger Reihenfolge im richtigen Rhythmus irgendwie von der Stelle zu schleifen und dabei noch Haltung zu bewahren. 4. Die Trainerin/ Der Trainer Vielleicht hat sie bunte Pillen geschluckt, vielleicht hat er sich das Zahnweissgrinsen ins Gesicht getackert. Frag nicht, warum die nach 45 Minuten immer noch so unbeschadet lächeln. Nimm es hin und freu dich lieber, dass sie nicht brüllen und Drill-Instructor-Like neben dir stehen, sondern ungefährlich auf dem Podest herumhüpfen und sich über jede kleine Regung deines Körpers wie ein Schneekönig freuen. Frag dich nicht, an was dich „Hepp!“ und „Hey!“ erinnern, sondern sammel dir Motivation und Lob heraus und mach dir klar, dass du hier grad den Job deines Lebens macht und noch jemand außer dir das ganz toll findet. Fang nicht an zu hoffen, dass du nach dieser Stunde immer noch so aalglatt aussiehst wie der Mensch da vorn. Im Spiegel erwartet dich ein knallroter Kopf mit schwitzigen Fusselhaaren drum herum. 5. Die Mitstreiter Sie sind deine Rettung, wenn die Arme verknotet und die Beine wie Pudding sind. Denn allen geht es so. Die schwitzen auch, die haben Schlafanzughosen an und es wird immer ein paar geben, die nach der Hälfte der Zeit auch schon nicht mehr können. Sei lieb und nett und lächel auch mal. Streber gibt es immer. Das war schon in der Schule so. Aber an denen hat man sich ja dort auch nie ein Beispiel genommen. Und soll Jürgen sich doch freuen, wenn er den neuen Bewegungsablauf schnell kapiert hat und wunderbar ausführen kann. Das passiert ihm doch sonst nicht so oft. 6. Die Schrittfolgen „Easypeasy!“, denkst du dir am Anfang. Und am Ende weißt du nicht mehr, wo vorne und hinten ist. Hab keine Scheu davor, mal ein zwei Zeiten auszusetzen und zu gucken. Das ist immer noch besser als verdrehte Knie. Hinterherhetzen macht den Arsch nicht kleiner sondern schult höchstens Stressbewältigung. Die Bewegungen vielleicht nicht ganz so oft, aber dafür richtig auszuführen, ist am Ende effektiver. Wer sich die Namen der Übungen ausgedacht hat, will man gar nicht wissen. Spreizer, V-Schritt und Ran-Run können nichts für ihre Namen. Also Bauch rein, Hintern raus und Fuß gestreckt. Der Rest ist egal. 7. Der Schweiß Die Aufnahme von Flüssigkeit ist extrem wichtig, denn du verlierst, wenn es gut läuft, auch eine Menge davon. Hellblaue T-Shirts bekommen plötzlich riesige Flecken, Haare verkleben zu Würsten und Bäche laufen dir die Schläfen hinunter. Ist am Anfang ungewohnt, am Ende aber ein gutes Gefühl. Wenn dein Selbstbewusstsein ein paar Flecken auf dem Hemd nicht aushält, dann zieh ein schwarzes an. Ansonsten legst du dir das Handtuch in Reichweite oder genießt einfach die Aktiv-Sauna. Hilfreich sind dabei auch diese als Modegag wieder aus der Versenkung erschienen Schweißbänder. Ratzfatz mit dem Handgelenk über die Stirn und schon glänzt da für die nächsten zehn Sekunden nichts mehr. 8. Muskelkater Manche schwören auf Dehnung, andere trinken vorher Magnesium in Sprudelwasserform. Aber eigentlich denkt man doch auch immer, man habe was falsch gemacht, wenn es am nächsten Tag nicht zwickt und zwackt beim Treppen hochgehen oder Rucksack aufsetzen. Ja, du hast dich bewegt und das ist eine Folge davon. Der innere Schweinehund wurde eingesperrt, jetzt bellt er halt ein bisschen. Geht alles vorbei. Nach zwei Tagen bist du das Sportwehwehchen los. 9. Wiederkommen Euphorie bestimmt den Rest des Trainingstages. Man hat sich durchgerungen, man hat es überlebt und man ist auch nicht sofort von der Dusche ins Bett gefallen. Die Medaille gibt es aber erst, wenn aus einem viele Male werden. Den Schweinehund also einmal die Woche in den Keller verbannen, den guten Geschmack zu Hause lassen und die Erwartungen runterschrauben. Das Gute ist, man denkt in dieser einen Stunde nichts außer „Vor Zurück Zur Seite Ran...“. Beinchen hochfahren und Denken auf Pause. Das ist doch auch mal was.