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Bekenntnisse eines Nikolaus
Illustration: Dirk-schmidt Einfach einen weißen Bart umhängen, den roten Bademantel von Muttern anziehen und dann mit einem Teekesselwärmer auf dem Kopf auf und davon zu den vielen Kindelein, die da allüberall vor den Fernsehern sitzen – nein, so einfach ist es nicht, als Nikolaus zu arbeiten. Es erfordert enormes Feingefühl und pädagogisches Geschick für den Umgang mit, nein, nicht den Kindern, sondern den Eltern – und eine Leber wie ein Löschblatt. roland-schulz war über Jahre als Nikolaus tätig, er hatte sich in seiner Münchner Heimatpfarrei langsam vom Nikolaus-Handlanger über den Krampus-Darsteller zum Nikolaus hochgedient. Hier verrät er, was man als Nikolaus zu beachten hat. 1. Tarnung ist alles. Die Kinder da draußen, das sind keine kleinen possierlichen Kinderschokoladen-Esser mehr – es sind böse und erbarmungslose Zyniker, die noch dazu seit Jahr und Tag von Rundfunk und Fernsehen mit Misstrauen genährt worden sind. Sie glauben nicht mehr an den Nikolaus? Wenn es nur das wäre! Sie wollen dich, den Nikolaus, demaskieren, enttarnen, öffentlich bloßstellen. Also wehe, wehe, dreimal wehe und folgendes beachtet: Keine Turnschuhe. Keine Brille. Keine Piercings. Ganzkörpertätowierungen gehen, die werden von der Bischofs-Albe sowie dem Messgewand verdeckt – wenn die kleinen Bälger soweit vorgedrungen sei sollten, hast du eh schon verloren. 2. Du weiß nicht, was eine Albe ist? Heilige Scheiße, das ist schlecht. Der Nikolaus hat nämlich kein so ein rotes Disney-Kostüm an, sondern tritt als Bischof von Myra natürlich im vollen Ornat an. Also: Albe, eine Art Tunika, zusammengehalten vom Zingulum, das ist der Strick, den sich auch Priester um den Bauch binden, darüber das Messgewand plus Bischofs-Mitra auf dem Kopf. Außerdem eine weiße Perücke nebst weißem Bart und – der Bischofsstab. Der ist wichtig, um kleine Besserwisser zu züchtigen. 3. Dann los. Als normaler Nikolaus hast du jeden Tag an die 25 Termine, also immer wenig Zeit. Bei jedem Termin nie vergessen: Wenn du denkst, es ist schlimm, hast du dem Bösen noch nicht annähernd ins Auge geblickt. Als Nikolaus geht es dir wie dem United States Marine Chor im Irak, es ist also alles „fubar“ – fucked up beyond any recognition. 4. Der Nikolaus klingelt nicht. Niemals. Du klopfst. Wenn dich niemand hört, weil alle glühweinselig Nikolo-Bumm-Bumm gröhlen, ruhig den Bischofsstab zum Klopfen verwenden. Dann schnell überprüfen, ob die Mitra sitzt und der Bart auch oben ist. 5. Bücken. Niemals aufrecht ein Haus betreten. Es würde dir die Mitra vom Haupt fegen, die Perücke gleich mit, Selbstmord wäre dann die einzige Lösung. Besser bücken, reingehen – und sich nicht irritieren lassen. Unter Umständen wird der Opa auf einer Küchenleiter stehen, einen Flak-Scheinwerfer in der Hand, damit der Papa mit der High-End-Videokamera jeden Schritt des Nikolaus in voller Pracht festhalten kann, während die Mama mit dem Zeigestab die Chaos-Combo der blockflötespielenden Kinder in eine Crossover-Version von „Leise rieselt der Schnee“ peitscht. Nicht weinen. Auch nicht lachen. Würdevoll bleiben und... 6. Sofort die Initiative ergreifen. Wer am Anfang nicht gleich hart durchgreift, wird schnell am Bart gezupft. Also: Kurze Begrüßung, gerne mit rauer Stimme (deswegen rauchen so viele Nikoläuse Rothändle), in der ein paar einfache Befehle gegeben werden: Alle Gesangs- und Musikvorführungen sind sofort zu unterbrechen, die Kinder werden nach vorne geholt, die Eltern aufs Sofa verbannt. Das aufmüpfigste Kind zeigt sich gleich am Anfang, da hat es noch Mut und fragt, ob du wirklich der Nikolaus bist. Sofort einschreiten. Den Besserwisser mit dem Bischofsstab züchtigen – er wird aufgefordert, ihn zu halten. Dabei andeuten, dass es eine besondere Bewandnis damit hat, dass genau der kleine Markus den Stab halten muss, äh, darf. Dem kleinen Kerl dabei lange in die Augen sehen. Gegebenenfalls den Krampus mit der Kette rasseln lassen. Dann ist Ruhe. 7. Sollte in dieser heiklen Kennenlern-Phase ein Kind das Weinen anfangen, ganz ruhig beschwichtigen. Alles weitere macht die Mama. Keine Sorge. Mamas stehen auf so was. Zur Not den Krampus rausschicken. Dann das Goldene Buch hervorziehen. 8. Jetzt die Texte verlesen, die die Eltern vorher in Auftrag gegeben haben. Das Zauberwort heißt hier Improvisation. Eltern neigen dazu, alles allzu ausführlich, in Reim-Form oder gar per Exel-Tabelle zu formulieren, was sie ihrem Kind an Erziehung in zwölf Monaten nicht beibringen konnten – aber das ist ihr Problem. Du bist der Nikolaus. Du singst nicht. Du reimst nicht. Und du drohst auch nicht mit Tod und Teufel, nur weil die kleine Meike ihren Schnuller nicht hergeben will. Du machst aus dem ganzen Unfug, den sich die Eltern ausgedacht haben, einen schönen Text mit Tadel und Lob. Ganz wichtig: Eltern schreiben nie, wie brav sie waren. Deswegen einfach die Kinder fragen, ob die Eltern auch immer schön brav gewesen sind. Das bringt erst richtig Pep in den Nikolaus-Abend. 9. Dann die Geschenke verteilen. Jetzt aufs Gas drücken – Kinder mit noch verpackten Geschenken sind unberechenbar. Sollte der wahrscheinliche Fall eintreten, dass ein Kind doch noch ein Gedicht oder ein Flötenstück eingeprügelt bekam, um es dem Nikolaus aufzuführen, die Darbietung stoisch ertragen. Nicht an Lob sparen. Dann Verabschiedung. Nicht vergessen, den Bischofsstab mitzunehmen – und den Papa zu bitten, dich zur Tür zu geleiten. 10. Wenn dir der Typ zu wenig Kohle gibt, weil er denkt, diese dummen Studenten sollten froh sein, dass sie überhaupt was zu tun haben: einfach damit drohen, noch mal reinzugehen und ohne Bart „Stille Nacht“ zu rülpsen. Bei dieser Gelegenheit gleich auf Trinkgeld hinweisen. 11. Viel wahrscheinlicher ist aber, dass dir der Papa jovial auf den Rücken haut, fünfzig Euro in die Hand drückt und dich mit den Worten „Na, der Nikolaus hat doch sicher einen Durscht, wenn er so lange unterwegs ist“ auf einen Umtrunk einlädt. Vorsicht – könnte eine Falle sein. Deswegen Bart und Perücke unbedingt anbehalten. 12. Getränketipps: Alle Arten von Bieren dauern zu lange, Wein knallt zu sehr, wenn es überall ein Viertel gibt, und Glühwein – es gibt nichts entwürdigenderes, als Glühwein mit dem Strohhalm durch einen weißen Kunstbart hindurch zu trinken. Was bleibt? Genau. Schnaps. Das Glas fest mit der Rechten greifen, mit der Linken schnell den Bart lüpfen, runter damit. Pro Familie nur ein Schnaps. Dann auf zu den nächsten, Halleluja.