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Wie viel Geschäft verträgt die Freundschaft?

Illustration: Daniela Rudolf / Fotos: freepik

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Meine Freundschaft mit Annie war nie besonders eng, was auch daran liegen mag, dass sie in einem anderen Land lebt und ein sehr anderes Leben führt. Sie hatte noch keinen einzigen Tag in ihrem Leben gearbeitet, verbrachte ihre Zeit damit, shoppen zu gehen und erster Klasse durch die Welt zu reisen. Das Geld dafür bekam sie von einem reichen Gönner, mit dem sie eine lockere Beziehung führte. Dagegen führe ich ein sehr gewöhnliches Leben mit geregelten Arbeitszeiten und sehr viel weniger Geld. Trotzdem brach die Beziehung in den letzten zwölf Jahren nie ganz ab. Wir waren uns trotz aller Unterschiede sehr sympathisch und wenn wir uns trafen, hatten wir uns immer eine Menge zu erzählen.

Vor knapp einem Jahr trennte sich der wohlhabende Mann von ihr, Annie brach zusammen, hatte große Geldsorgen und wusste nicht, wie es weitergehen sollte. In dieser Zeit telefonierten wir häufig und ich versuchte, ihr zu helfen. Durch zuhören, Mails mit Ratschlägen und indem ich ihr Mut zusprach. Das war bisweilen etwas anstrengend, denn Annie war relativ beratungsresistent und fast immer betrunken, wenn wir telefonierten. Aber ich hatte doch das Gefühl, dass sie von unseren Telefonaten zumindest emotional profitierte. 

Vor einigen Wochen dann kam die großartige Nachricht: Annie hat einen Job gefunden. Ich freute mich wahnsinnig für sie und war auch nicht traurig darüber, dass die nächtlichen Anrufe aufhörten. Stattdessen sah ich in den sozialen Medien immer häufiger Fotos von ihr bei ihrem Job und freute mich, dass sie sich aus eigener Kraft aus dem Sumpf herausgezogen hatte.

Doch mit Annies neuem Job begann auch eine neue Phase unserer Freundschaft, an die ich mich bis heute nicht so richtig gewöhnen kann. Annie arbeitet nämlich für einen Kosmetik-Konzern, dessen Geschäftsmodell darin besteht, dass man seinen Freunden und Bekannten die Produkte direkt verkaufen soll – vergleichbar mit Tupperware-Partys. Annie begann also, ihre Freunde, und damit auch mich, anzuhalten, die Cremes ihrer Auftraggeber zu kaufen. Die sind nicht unbedingt schlecht, aber meines Erachtens völlig überteuert.

Andererseits braucht Annie diesen Job dringend und das wissen auch ihre Freunde. Also kaufen wir immer wieder bei ihr ein – als Freundschaftsdienst und nicht, weil wir uns so gerne mit den Cremes und Tinkturen einschmieren.

Aber ich merke, wie sich meine Laune zunehmend verschlechtert, je öfter ich eine Mail von ihr bekomme, die wenig von ihr und sehr viel von den Produkten handelt, die ich doch dringend kaufen soll.

Menschen mit kreativen Berufen werden oft gefragt, ob sie etwas „zum Freundschaftspreis“ machen könnten

Freundschaft ist ein außergewöhnliches Konzept, denn es ist im Gegensatz zur Familie oder zu Kollegen eine freiwillige, persönliche Beziehung, die auf gegenseitiger Sympathie, Vertrauen und Unterstützung beruht. Die Therapeutin Gertraude Lenz weiß, wie fragil Freundschaften sind, vor allem, wenn sich das Verhältnis verändert: „Eine Freundschaft beruht auf Freiwilligkeit und Loyalität. Wenn Freunde auf einmal anfangen, einem etwas verkaufen zu wollen, tut das vermutlich gerade deshalb besonders weh. Denn dann versuchen sie, die Vertrauensbeziehung, die oft über lange Jahre gewachsen ist, für sich zu monetarisieren. Und damit wird die Freundschaft Mittel zum Zweck.“

Mindestens ebenso heikel für Freundschaften wie die Verkäufer sind Menschen, die die beruflichen Fähigkeiten und Ressourcen ihrer Freunde zu ihrem eigenen Vorteil nutzen wollen. Besonders häufig davon betroffen sind Menschen in kreativen Berufsfeldern: Grafiker, Fotografen, Autoren. Sie alle kennen solche Anfragen aus dem Freundeskreis, die an Unverschämtheit grenzen: Ob man nicht mal schnell eben die Website designen könnte? Die Geburtstagseinladung gestalten? Auf der Hochzeit für lau fotografieren? Oder zumindest zu einem „Freundschaftspreis“?

Gefühlt sind solche Anfragen oft der Anfang vom Ende einer guten Freundschaft. Weil es sehr schwer ist, sich Bitten von Freunden zu verweigern. Und man dann oft Dinge tut, auf die man eigentlich keine Lust hat – und die man sich oft auch gar nicht leisten kann. Die Anwältin Martina Haas rät Menschen, sich nur im allerengsten Freundeskreis auf spezielle Freundschaftstarife und –dienste einzulassen. Denn wer erst einmal einen Rabatt bekommen hat, der geht auch in Zukunft davon aus, bevorzugt behandelt zu werden. 

Gertraude Lenz findet, dass es in solchen Situationen besonders wichtig ist, so klar wie möglich zu kommunizieren: „Sagen Sie Ihren Freunden, dass Sie es sich als Selbständige nicht leisten können, kostenlos zu arbeiten. Und dass Sie es auch nicht wollen. Solange Sie freundlich sind und die Kommunikation offen lassen, werden die Ihre Absage bestimmt akzeptieren.“ Genauso soll man auch mit Freunden umgehen, die einem etwas verkaufen wollen. Offen sein und klar sagen, was stört, ist auch in diesem Fall die richtige Strategie.  

Ich habe Annie vor einigen Tagen gesagt, dass ich ihre Produkt-Mails nicht mehr bekommen will. Weil ich finde, dass unsere Beziehung zu sehr unter der Vermischung von Geschäft und Freundschaft leidet. Begeistert war sie von dieser Nachricht nicht. Aber sie hat versprochen, mich aus ihrem Mailverteiler zu löschen.

Ob unsere Freundschaft das übersteht, wird sich vermutlich erst in einigen Monaten zeigen. Ich hoffe es sehr. 

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