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Wie du besser auf Menschen mit Körperbehinderung zugehst
Wir kennen uns noch nicht lange. Ein Bekannter hält mir nervös die Türe auf und ich rolle mit meinem Rad in das ebenerdige Restaurant. Ich bleibe neben ihm stehen und schaue mich um. Kurze Zeit später sieht er mich an und hat sichtlich Angst vor meiner Reaktion, als er mir mitteilt, dass die Toiletten leider im Untergeschoss seien. Ohne Aufzug. Darüber muss ich fast schon grinsen. Es ist nett, dass er sich so sehr bemüht hat, eine passende Location für mich als gehbehinderte Frau zu finden. Ich bin kleinwüchsig und nutze zur Fortbewegung statt eines Rollstuhls ein Rad für längere Strecken. Mein Bekannter ist etwas überfordert mit der Frage, wie er mit meiner Behinderung umgehen soll. Wie so oft, versuche ich ihm seine Berührungsängste zu nehmen.
So ergeht es behinderten Menschen oft. Auch die kleinwüchsige Journalistin Rebecca Maskos, die Rollstuhlfahrerin ist, kennt das: „Wir sollen dafür sorgen, dass es allen in der Kennenlern-Situation gut geht und dass die nichtbehinderten Leute sich nicht unsicher fühlen. Wir müssen ständig vermitteln, wie man mit uns umgeht. Das ist erst mal eine ziemlich anstrengende Sache.“ Auch für mich. Mich mit anderen Menschen mit Behinderung wie Rebecca über Alltagserfahrungen auszutauschen, steigert mein Selbstbewusstsein und hilft, wirksame Strategien für den Alltag zu entwickeln. In einem Skype-Gespräch reden wir darüber, welche Reaktionen von nichtbehinderten Menschen auf unsere Behinderung uns am meisten stören und wie nichtbehinderte Menschen das besser machen können.
Der Austausch mit Rebecca war dabei wichtig, da erst die gemeinsame Reflexion von Erfahrungen meine persönlichen Erlebnisse repräsentativer für die Lebenswelt von kleinwüchsigen und gehbehinderten Menschen macht. Daraus entstanden ist ein kleiner Leitfaden, damit du ohne Nervosität kleinwüchsigen und gehbehinderten Menschen klischeefrei gegenübertreten kannst.
Regel 1: Starr mich nicht an
Für mich als Mensch mit Behinderung fängt die nonverbale Kommunikation meist schon an, wenn ich das Haus verlasse. Dann starren mich oft fremde Menschen an. Meist hört das auf, wenn die Leute mich kennenlernen. Das passiert aber natürlich nicht bei jeder alltäglichen Begegnung. Manchmal laufen mir Leute sogar glotzend gar hinterher.
Besser: Versetze dich mal in meine Situation. Willst du dich tagtäglich wie ein Promi fühlen, die*der gerade von einer Horde Paparazzi verfolgt wird? Sicherlich nicht. Kurz gucken ist okay, auch ich schaue die Menschen an, die mir begegnen. Aber nicht mit mehrmaligem Umdrehen und ununterbrochen minutenlang. Und bitte lauf mir nicht nach. Dich interessiert es immer noch brennend, warum ich so klein bin und ein Rad zur Fortbewegung nutze? Dann lies dir Regel 3 durch.
Regel 2: Sprich mit mir und nicht mit meiner Begleitung, wenn es um meine Belange geht!
Immer wieder passiert es, dass Leute mit meinen Freund*innen sprechen, wenn es eigentlich um meine Belange geht. Beispielsweise erklären sie meiner Begleitung, wo der barrierefreie Zugang im Museum ist, obwohl diese selbst gar kein Rad beziehungsweise Rollstuhl nutzt. Ich werde dabei immer ziemlich wütend, weil man ganz klar sieht, dass ich zwar kleiner bin, aber dennoch eine erwachsene Frau. Oft mache ich dann auf mich aufmerksam, indem ich das Wort ergreife. Um besonders erwachsen zu wirken, habe ich schon als Jugendliche angefangen, mich zum Beispiel besonders gewählt auszudrücken. Auch Rebecca wendet diese Strategien an.
Besser: Sprich die behinderte Person selbst und nicht ihre Begleitperson an. Es gibt auch die merkwürdige Annahme, dass kleinwüchsige Menschen vielleicht ebenso eine kognitive Behinderung haben könnten. Nimm zur Kenntnis, dass Kleinwuchs oder ein Rollstuhl nichts über den Bewusstseinszustand oder das Alter einer Person aussagt. Daher ist es auch unhöflich, mich als Erwachsene nicht zu siezen.
Regel 3: Ich muss dir nicht meine Behinderung erklären. Auch nicht deinem Kind
Einige Bekanntschaften entwickeln sehr schnell ein großes Interesse daran, wie der Alltag als behinderte Frau aussieht und fragen mich aus. Auf Dauer ermüdet mich und Rebecca das ebenso wie unnötige Hilfe, da waren wir uns sofort einig. Mach dir klar, dass jeder Mensch mit Behinderung diese Gespräche etwa drei Mal pro Woche führt. Es ist nett, wenn du Interesse daran hast, wie ich zum Beispiel in die Bahn reinkomme oder wo ich meine Kleidung als kleinwüchsige Frau kaufe. Manchmal ist es mir aber auch zu viel. Das betrifft auch die Fragen von Kindern.
Besser: Erst mal nett fragen, ist in Ordnung. Frag mich aber nicht über mein Leben mit Behinderung aus, insbesondere nicht über meine Diagnosen. Akzeptiere es auch, wenn ich dir oder deinem Kind gerade nicht erklären will, warum ich kleinwüchsig bin, sondern lieber mein Eis esse. Sprich lieber mit deinen Kindern in Ruhe zu Hause darüber, wenn sie weiterhin Fragen stellen. Viele Fragen von Kindern vermeidest du auch, wenn du möglichst früh mit ihnen darüber sprichst, dass es behinderte Menschen gibt.
Regel 4: Behinderte Menschen sind verschieden. Nur, weil dein Freund Alex mit Behinderung etwas okay findet, muss ich das nicht okay finden
Dieses Argument lässt sich auf so ziemlich jede benachteiligte Gruppe umsetzen und nervt. Das betrifft oft auch das Thema „Witze über Menschen mit Behinderungen“. Alex ist ein kleinwüchsiger Mensch und mit Gehbehinderung unter Tausenden. Behinderte Menschen sind Individuen und haben verschiedene Meinungen. Daher erwarte von mir keine bestimmten Verhaltensweisen, wie beispielsweise das große Witzereißen über meine Behinderung, nur weil dein Freund das so macht.
Besser: Behindertenwitze sind auch unter behinderten Menschen umstritten und die Meinungen darüber unterschiedlich. Es wollen sich auch nicht alle behinderten Menschen zu Diskriminierung äußern oder sind über jedes Thema informiert. Respektiere unsere Meinungen über unsere Behinderung.
Regel 5: Hilf mir nur, wenn ich das möchte und traue mir zu, meinen Alltag alleine zu schaffen
Eine Situation ist mir im Gespräch mit Rebecca besonders im Gedächtnis geblieben. Oft drücken nichtbehinderte Menschen für Rebecca den elektrischen Türöffner. „Das nervt mich wirklich. Dieses Ding ist dazu da, dass ich das alleine machen kann“, erklärt mir Rebecca im Skype-Gespräch. Auch ich kenne zahlreiche solcher Situationen. Beispielsweise hat mir eine Journalistin nach einer Presseveranstaltung meine Jacke aus der Hand gerissen und angezogen. Mit solchem Verhalten machst du behinderte Menschen zu einem Objekt der Hilfsbedürftigkeit, obwohl man prima selbst zurechtkommt.
Besser: Ich bin meist gar nicht so hilfsbedürftig wie du denkst. Daher warte erst mal und halte es aus, dass manches für dich umständlich aussieht. Daheim schaffe ich es auch gut ohne deine Hilfe meine Jacke anzuziehen, auch wenn es vielleicht ein bisschen länger dauert. Und frag immer erst nach, bevor du hilfst.
Regel 6: Erwarte von mir keine übermäßige Dankbarkeit für Kleinigkeiten
Du überlässt mir im Bus deinen Sitzplatz, weil ich wegen meiner Gehbehinderung nicht stehen kann? Das ist Hilfe, die ich wirklich gebrauchen kann. Dennoch werde ich mich dafür nicht überschwänglich bei dir bedanken. Auch wenn diese Erwartung sehr viele Menschen an mich stellen. Besonders oft passierte das während meiner Schulzeit. Für die Hilfe und Unterstützung von meinen Mitschüler*innen wurde gar erwartet, dass ich dafür kleine Geschenke mitbringen sollte. Das fühlt sich heute noch sehr erniedrigend an.
Besser: Solltest du im Bus ohne gesundheitliche Probleme stehen können, dann bist du gegenüber mir als Kleinwüchsige und gehbehinderte Frau privilegiert. Du bist in der aktiven Position, mir deinen Sitzplatz zu überlassen. Für dich ist es eine Kleinigkeit. Ich kann nur reagieren. Mit einem überschwänglichen Dankeschön baut sich deine Machtposition noch mehr aus.
Regel 7: Ich bin nicht deine Inspiration
Im letzten Urlaub war Rebecca mit ihrem Freund an der Ostsee. Dort kam eine Frau auf die beiden zu und lobte sie, dass Rebecca rausgeht und ihr Freund sie dabei schiebt.
Besser: Frage dich, ob du dafür gelobt werden möchtest, dass du jeden Tag aufstehst und das Haus verlässt. Wohl eher nicht. Auch wenn meine Alltagswelt für dich fremd sein mag. Mein Leben ist für mich normal und keine Inspiration. Sollten dir aber beispielsweise meine Artikel gefallen, dann kannst du mir das gerne sagen.
Regel 8: Fass mein Hilfsmittel nicht an
Es ist übergriffig, wenn du mein Rad im Bus als Stütze verwendet oder deine Tasche darauf abstellt, weil mein Rad genauso ein Teil von mir ist wie beispielsweise deine Handtasche. Immer wieder passiert es auch, dass Leute, ohne mich zu fragen, mein Hilfsmittel in eine andere Standposition bringen, weil es angeblich im Weg steht.
Besser: Stütze dich nicht auf Hilfsmitteln einer fremden Person ab und bewege diese niemals in eine andere Position. Das ist unser privater Raum. Solltest du dich mit mir anfreunden, dann bist du natürlich auch in meinem privaten Raum, ich habe dir erklärt, wann ich Hilfe brauche und du darfst mich auch gerne bei einem Hügel mitanschieben.
Verdrängung als Bewältigungsstrategie
Vielleicht schockieren dich auch einige Situationen, die im Leben von Rebecca und mir alltäglich sind. Am Ende unseres Gesprächs stellten Rebecca und ich nämlich beide fest, dass unsere Eltern und Freund*innen sich an viele Diskriminierungen uns gegenüber noch nach Jahre später erinnern – wir selbst aber nicht. Ich schätze das ist unsere Bewältigungsstrategie. Ich denke gar nicht mehr über jede diskriminierende Alltagssituation nach. Es sind einfach zu viele. Umso wichtiger: Versetze dich in unsere Situation hinein und denk mehr darüber nach, was dein Verhalten in mir auslöst. Mit etwas mehr Sensibilität machst du mein Leben und auch deines damit deutlich einfacher.
Warum gibt es überhaupt so viele Berührungsängste?
Viele Probleme in Alltagssituationen entstehen durch Unsicherheiten und Berührungsängste. „Wir müssen akzeptieren, dass es die Unsicherheiten gibt, weil die gemeinsamen Lebenswelten noch viel zu selten da sind“, meint Rebecca im weiteren Verlauf unseres Gesprächs. Laut dem Statischen Bundesamt lebten 2019 in Deutschland 7,9 Millionen schwerbehinderte Menschen. Daher müsste statistisch gesehen auch jeder Zehnte in unserem Freundeskreis eine Behinderung haben. Ist das wirklich so? Eher nicht.
Deshalb müssen sich Menschen mit und ohne Behinderung gegenseitig kennenlernen. Die Berührungsängste, als nichtbehinderter Mensch etwas Falsches zu sagen oder zu tun, machen es nur noch komplizierter. Gib lieber deine Nervosität offen zu. Ich weiß selbst, wie schwierig es ist, eine barrierefreie Location zu finden. Viel schlimmer wäre es für mich, wenn du gar kein Interesse daran zeigst, mich in ein barrierefreies Restaurant auszuführen. Und: Auch ich habe Berührungsängste gegenüber Menschen mit einer anderen Behinderung, weil ich selbst wenige Berührungspunkte zu deren Alltagswelt habe. Daher gebe ich hier auch nur Tipps zu Situationen, die mir als kleinwüchsige und gehbehinderte Frau im Alltag begegnen. Die Frage ist immer, wie wir mit unseren Berührungsängsten umgehen, etwas dazulernen wollen und weniger, dass wir uns dafür schlecht fühlen. Auch mein Bekannter legte nach mehreren Treffen seine Berührungsängste langsam ab und verhält sich nun viel selbstsicherer im Kontakt zu mir.