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Was kann ich gegen Lebensmittelverschwendung machen?

Collage: Daniela Rudolf / Fots: freepik / Wikimedia

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Die Zahlen schwanken stark, aber eines haben sie alle gemeinsam: Sie sind schockierend. Darüber, wie viele Lebensmittel in Deutschland weggeworfen werden, gibt es verschiedene Ansichten. Die Bundesregierung schätzt eher konservativ und kommt auf mindestens 55 Kilogramm pro Kopf und Jahr. Das sind 4,4 Millionen Tonnen Lebensmittel, die jährlich deutschlandweit im Müll landen.  Die Umwelt-Organisation WWF hat eine eigene Studie  zu dem Thema herausgegeben und kommt auf sieben Millionen Tonnen Lebensmittel, die bei den Endverbrauchern im Müll landen. Insgesamt werden in Deutschland jährlich 18 Millionen Tonnen Lebensmittel weggeworfen: Begonnen bei den Produzenten, die Lebensmittel oft nicht verkaufen können, weil sie den Industriestandards nicht entsprechen, über die Produktion, die immer wieder nicht ganz perfekte Produkte einstampfen muss, weil sie der Verbraucher nicht annimmt, über den Handel, wo Logistik und Überangebot Müll produzieren, bis zu uns Endverbrauchern, die wir täglich bis zu drei Mal Lebensmittel entsorgen – ob zu Hause oder in der Kantine die Reste. 

Lebensmittelverschwendung hat weitreichende Folgen, wie Raphael Fellmer erzählt, der in Deutschland die Plattform „Foodsharing“ mitgegründet hat und sich vor zwei Jahren die Supermarktkette für abgelaufene Lebensmittel „SIRPLUS“:

„Die weggeworfenen Lebensmittel sind nicht nur Verschwendung von Geld, sondern haben viele Folgen: So entstehen unter anderem bei der Produktion, Lagerung und Lieferung  der 1,6 Milliarden Tonnen, die weltweit an Lebensmittel verschwendet werden, acht Prozent aller durch den Menschen verursachten Treibhausgase. Eine Fläche, die mehr als doppelt so groß ist wie die EU, wird beackert, mit Pestiziden belastet, Wasser verschwendet – nur damit die Ernte am Ende weggeworfen wird. Zudem wissen wir, dass mehr als 800 Millionen Menschen weltweit an Unterernährung leiden, wir in Europa werfen dagegen 50 Prozent der Lebensmittel weg, die teilweise aus diesen Ländern importiert werden, in denen die Menschen hungern und mit den Auswirkungen unserer Überflussgesellschaft leben müssen.“ Dass es so nicht weitergehen kann, ist wirklich fast überall angekommen: Die Bundesregierung hat sich dem Ziel der Vereinten Nationen verpflichtet, die Lebensmittelabfälle bis 2030 zu halbieren und versucht, dieses Ziel mit verschiedenen Kampagnen, wie „Zu gut für die Tonne“ oder „Lebensmittel wertschätzen“ zu erreichen.

Junge Menschen werfen besonders viele Lebensmittel weg

Normalerweise fühlt man sich bei solchen großen Themen als Endverbraucher relativ hilflos, denn als Einzelner kann man selten viel bewirken. Im Fall der Lebensmittelverschwendung allerdings können wir Verbraucher tatsächlich eine Menge selbst regeln. Denn wir sind mit Abstand die Hauptverursacher des skandalösen Müllproblems: Fast die Hälfte der weggeworfenen Lebensmittel werden in Privathaushalten entsorgt. Und das Schockierende ist: Von den entsorgten Lebensmitteln wären 70 Prozent absolut noch genießbar gewesen oder haben wegen falscher Lagerung gelitten. Insofern ist es auch nicht verwunderlich, dass wir vor allem Obst und Gemüse wegwerfen, gefolgt von Essensresten, Brot, Getränken, Milchprodukten und Fertigprodukten.

Die Wegwerflust gerade der jüngeren Generation hat mehrere Gründe, wie Raphael Fellmer erzählt: „Wir sind die Supermarktgeneration und gewohnt, dass in den Regalen immer alles erhältlich ist – und zwar im Überfluss. Und das wollen wir auch zuhause haben. Weil wir seltener, aber dafür viel einkaufen, verlieren wir leichter den Überblick über unsere Vorräte. Zudem können wir es uns einfach auch leisten, Lebensmittel zu verschwenden. Aber wir sollten Lebensmittel wieder ihren ideellen Wert schenken, die mit Ressourcen und auch mit Menschenleben zu tun haben.“

Bei Fellmers Startup „SIRPLUS“ können Produzenten und Handel Waren, die entweder das Mindesthaltbarkeitsdatum überschritten haben oder das Gemüse möglicherweise den Standards nicht entspricht oder es bei der Produktion eines Joghurt zu einem Fehler gekommen ist, der zwar die Farbe, aber nicht die Qualität oder den Geschmack verändert hat, abgeben. „SIRPLUS“ gibt diese Lebensmittel dann in ihren vier Standorten in Berlin und ihrem Online-Shop billig an die Endkonsumenten weiter.

Damit will Fellmer ein Bewusstsein bei Verbrauchern wecken für den Wert von Lebensmitteln und deren Vertrauen in die eigenen Sinne stärken. „Wir alle müssen unsere Einstellung ändern. Vor allem bei der Generation unter 30 fehlt der Bezug zu Lebensmitteln komplett. Wie viel Arbeit steckt in so einer Kartoffel? Wie lange braucht eine Tomate, um zu reifen? Wo wächst diese Erdbeere? Wer sticht meinen Spargel? Das sind lauter Fragen, die sich kaum jemand meiner Generation stellt. Und diese Ignoranz sorgt dann für die gedankenlose Verschwendung, dass Obst und Gemüse weggeworfen wird, Tiere weggeworfen werden, man das Essen in der Kantine halb aufgegessen stehen lässt.“

Ein anderer, nicht unerheblicher Grund für viele Menschen, Lebensmittel zu entsorgen, ist das Mindesthaltbarkeitsdatum (MHD). Das steht allerdings nicht für „tödlich ab“, sondern soll nur die Konsistenz, den Geschmack, das Aussehen und die Qualität garantieren, die das Produkt hatte, als es die Fertigung verlassen hat. Joghurt ist beispielsweise oft Monate länger haltbar, als es das MHD suggerieren würde. Und der Handel mit Produkten, deren MHD abgelaufen ist, ist absolut legal.

Viele Verbraucher kennen allerdings den Unterschied zwischen dem Mindesthaltbarkeitsdatum und dem Verbrauchsdatum nicht. Letzteres sollte dringendst befolgt werden und steht für gewöhnlich auf (Hack-)Fleisch, Fisch und Produkten mit rohen Eiern. Das Verbrauchsdatum ist nur für sehr leicht verderbliche Lebensmittel vorgesehen, bei denen ein Verzehr nach dem Verbrauchsdatum eine Gesundheitsgefährdung bedeuten würde.

Raphael Fellmer würde sich wünschen, dass wir in Sachen Lebensmittel uns selbst wieder mehr vertrauen: „Wenn ein Produkt mit Mindesthaltbarkeitsdatum abgelaufen ist, dann kann man es anschauen, daran riechen und es probieren. Wenn es schlecht ist, kann man es immer noch wegschmeißen.“ Mit „Sirplus“ versucht Fellmer das Thema in die Mitte der Gesellschaft zu bringen und es den Menschen so bequem wie möglich zu machen, etwas gegen die Lebensmittelverschwendung zu unternehmen. „Wir müssen das Weltretten so gestalten, dass alle mitmachen können, ohne ihr Leben ändern zu müssen. Niemand will die Welt zerstören, aber viele schaffen es nicht, aus ihrer bequemen Komfortzone rauszugehen.“  

Mit „Sirplus“ wollen sie genau das erreichen: Es gibt sogar einen Lieferdienst, der die im Online-Shop bestellten Pakete mit geretteten Lebensmitteln quer durch Deutschland zum Verbraucher schickt. Eine Rechnung, die trotz der zusätzlichen CO2-Belastung laut Fellmer aufgeht. Denn ein Lebensmittel hat, bis es bei „Sirplus“ landet, schon so viel CO2 emittiert, dass es auf das bisschen auch nicht mehr ankommt, wenn es vor dem Müll gerettet wurde.

Wer selbst besser mit Lebensmitteln umgehen möchte, dem seien einige altväterlich klingende Ratschläge ans Herz gelegt, die auch heute noch gelten:

  • Nie hungrig einkaufen gehen – und nie ohne Einkaufszettel.
  • Beim Blick in den Kühlschrank nicht immer nur danach schauen, worauf man am meisten Lust hat, sondern, welche Lebensmittel als nächstes verbraucht werden sollten.
  • Beim Essen gehen oder in der Kantine die Lunchbox mitnehmen und das Essen, das man nicht geschafft hat, einpacken.
  • Diese Reste dann aber bitte auch aufessen.
  • Eher öfter und wenig einkaufen, als selten Riesenmengen.
  • Lebensmittel richtig lagern – hier gibt es einen ausführlichen Ratgeber zu dem Thema.
  • Altbackenes Brot mag niemand – außer in Knödelform, als Croutons, im Auflauf oder in Buletten (Fleischpflanzerl).
  • Gemüse und Obst muss nicht schön aussehen, um gut zu schmecken. Und zur Not kann man es immer noch in den Mixer hauen und Suppe machen.
  • Im Netz finden sich unzählige Quellen, die weitere gute Tipps zu Einkauf, Lagerung und Verbrauch geben. 

 

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