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Psychologie: Warum manche Menschen ungeschickter sind als andere und was sie dagegen tun können
Ich bin ungeschickt. Und zwar nicht so à la „mir fällt mal ein Glas aus der Hand“, sondern eher nach dem Motto: Klirren und Knallen ist der Soundtrack meines Lebens. Besuche ich meine Familie und haue meinen Stuhl beim Aufstehen mit einem lauten Knall gegen den Tisch, wird das allerhöchstens mit einem „typisch Johanna“ quittiert. Bin ich in einem anderen Zimmer als mein Mann und es scheppert irgendwas laut, fragt er schon gar nicht mehr nach.
Es ist nicht so, dass mir das gefällt. Im Gegenteil: Ich würde viel lieber wie eine grazile Elfe durch die Gegend schweben. Die Ungeschicklichkeit zieht sich jedoch durch mein ganzes Leben. Früher, als Jugendliche, schaffte ich es nachts nie, mich zurück ins Haus zu schleichen, ohne mit der Tür zu knallen. Heute wecke ich morgens die ganze Nachbarschaft bei dem Versuch, mir möglichst geräuschlos einen Kaffee zu machen. Dabei stellen ich und alle in meinem Umfeld sich jeden Tag die Frage: Muss das wirklich sein? Wieso bin ausgerechnet ich so ungeschickt? Und was kann ich tatsächlich dagegen tun? Oder muss ich mich etwa damit abfinden?
Um das herauszufinden, habe ich eine Expertin gefragt:
Prof. Dr. Astrid Zech leitet den Lehrstuhl für Bewegungs- und Trainingswissenschaften an der Universität Jena. Sie bestätigt mir, dass es tatsächlich Menschen gibt, die wesentlich ungeschickter sind als andere. Eins ist klar: Meinen Eltern kann ich nicht die Schuld geben, wenn ich das nächste Mal wieder über meine eigenen Füße stolpere. Denn nicht die Gene entscheiden, wie grazil man durch die Welt wandert. „Allgemein ist es anerkannt, dass Geschicklichkeit überwiegend eine Entwicklungs- und Übungssache ist“, sagt Astrid Zech. Das erklärt auch, warum ich in meiner Familie die Einzige bin, die sich regelmäßig das Schienbein am Esstisch stößt.
Laut Zech hängt das vor allem mit der Übung zusammen: „Geschicklichkeit ist meist aufgabenspezifisch. Je öfter sich eine Person mit der gleichen Aufgabe auseinandersetzt, desto geschickter wird sie.“ Das erklärt, warum ich während meiner Yogastunde graziler und geschickter bin als ein absoluter Anfänger. Trotzdem scheine ich, kaum runter von der Yogamatte, bei ganz normalen Tätigkeiten wie Treppensteigen all meine Eleganz wieder zu verlieren.
Während ich eine Sache mache, bin ich im Kopf schon bei der nächsten
Dabei habe ich das Gefühl, dass ich an Tagen, an denen es mir eh schon schlecht geht nur noch viel ungeschickter werde. Habe ich nicht gut geschlafen, vergieße ich meinen Kaffee häufig schon vor dem ersten Schluck. Meine Kopfschmerzen verschlimmere ich mit dem lauten Klirren des Geschirrs. Zumindest das scheint jedoch vollkommen normal zu sein. Zech sagt, Geschicklichkeit könne sehr wohl davon abhängen, ob man müde, krank oder gestresst ist.
Aber nicht nur unsere Tagesform hat Einfluss darauf, wie geschickt wir uns gerade anstellen. Auch das Alter bestimmt, wie tollpatschig wir sind. Wie gut wir mit unserem Körper umgehen können, hängt nämlich unmittelbar damit zusammen, wie gut wir diesen überhaupt kennen. Bei großen Wachstumsschüben ist es vollkommen normal, dass wir die komplette Kontrolle verlieren und erstmal viel ungeschickter sind. „Mit Beginn der Pubertät wachsen Mädchen und Jungen sehr schnell in kurzer Zeit. Dazu kommen Proportionsverschiebungen. Die Arme und Beine zeigen mehr Längenzunahme als der Rumpf. Muskulatur und Fettanteil nehmen zu. Das alles trägt dazu bei, dass es zu Verschiebungen des Körperschwerpunktes kommt. Damit müssen die Jugendlichen erst lernen umzugehen“, erklärt Zech. Und auch wenn diese Phase nicht ewig anhält, sind Jugendliche in dieser Umstellungszeit deutlich ungeschickter, als Erwachsene.
Obwohl ich lange ausgewachsen bin und genügend Zeit hatte, mich an meine neuen Körperproportionen zu gewöhnen, falle ich immer noch viel zu oft mit polternden Stühlen und unkontrollierbarem Stolpern auf. Dabei bieten sich mir doch eigentlich die perfekte Voraussetzung, um grazil und lautlos durch die Welt zu schweben. Doch genau jetzt kommt Zech zu dem Punkt, der mir das Genick bricht: Multitasking. Denn je mehr Sachen wir auf einmal machen, desto wahrscheinlicher ist es logischerweise, dass wir uns dabei ungeschickt anstellen. Genau das trifft auf mich zu. Ich mache meinen Kaffee, während ich gleichzeitig telefoniere, und bin beim Kochen gedanklich bei der Arbeit.
Allerdings passiert es mir auch oft, dass ich mir genau dann das Knie stoße, wenn ich eigentlich nichts anderes zu tun habe als geradeaus zu gehen. Und hier erwähnt Zech den zweiten Aspekt, der auf mich zutrifft: der Faktor Schnelligkeit. Ich bin ein ungeduldiger Mensch. Während ich eine Sache mache, bin ich im Kopf schon bei der nächsten. Gleichzeitig möchte ich alles so schnell wie möglich machen. Und genau das führt laut Zech dazu, dass meine Aufmerksamkeit eingeschränkt ist und ich mich ungeschickt anstelle. Denn mein Köper ist in diesem Fall noch nicht so weit, wie mein Kopf.
„Lebe im Hier und Jetzt“ ist nicht nur ein Spruch
Was kann ein Tollpatsch wie ich also tun? Wie halte ich meinen Körper frei von blauen Flecken und reduziere meine Ausgaben für kaputte Gläser? Zechs Antwort auf diese Frage ist einfach: „Regelmäßig üben und sich neuen und anspruchsvollen motorischen Herausforderungen stellen.“
Um ein besseres Gefühl für den eigenen Körper zu bekommen, hilft es, regelmäßig Sport zu treiben. Insbesondere Sportarten wie Yoga, Pilates oder Tanzen, bei denen gezielte Körperbewegungen geübt und wiederholt werden, können gegen Ungeschicklichkeit helfen. Oder kleine Gleichgewichtsübungen, etwa das Körpergewicht im normalen Stand abwechselnd von einem Bein auf das andere zu verlagern. Auch wenn diese Übungen auf dem ersten Blick nichts damit zu tun haben, ob mir ein Glas aus der Hand fällt oder nicht, helfen sie dabei, ein besseres Bewusstsein für den eigenen Körper zu entwickeln.
Außerdem hilft es laut Zech tatsächlich, sich wirklich bewusst auf das zu konzentrieren, was man gerade tut. „Lebe im Hier und Jetzt“ ist demnach nicht nur ein Spruch für einen kitschigen Wandkalender, sondern hilfreich, wenn einem in der Eile öfter mal das Essen vom Teller rutscht.
Dieser Text erschien erstmals am 14.2.2018 und wurde am 5.1.2021 aktualisiert.