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Warum ich gerade keinen Plan haben will

Illustration: Katharina Bitzl; Foto: British Library

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Ein Familientreffen. Ein Gespräch zwischen meinem Onkel und mir:

„Was machst du denn im Moment in deinem Leben?“

„Momentan studiere ich noch und bereite mich so langsam auf mein letztes Semester vor. Im Sommer schreibe ich meine Bachelorarbeit. Eigentlich arbeite ich noch 20 Stunden die Woche als Werkstudentin, aber gerade mache ich in den Semesterferien ein Praktikum.“

„Ach, schön. Und ab September dann einen Master, ja?“

„Nein, danach mache ich erstmal ein Jahr Pause.“

Irritierter Blick. „Oh okay. Und was wirst du dann in der Zeit machen – ein Praktikum?“

„Nein, ich möchte reisen und vielleicht ein paar Monate nach Frankreich gehen, um Französisch zu lernen. Ich habe ja nach dem Abitur direkt angefangen zu studieren.“

„Ah ok. Aber danach dann den Master, oder?“

„KEINE AHNUNG! Vielleicht mache ich DANN tatsächlich ein Praktikum, oder arbeite erstmal und selbst wenn ich einen Master mache, dann muss ich das doch jetzt noch nicht wissen – das ist schließlich noch über zwei Jahre hin!“ Würde ich am liebsten sagen. Statt dessen gebe ich einfach ein „mhm“ von mir und sehe zu, dass ich schnell das Thema wechsle.

Dieses Gespräch hatte ich in den vergangenen Monaten mindestens einmal pro Woche, vollkommen unabhängig davon, ob die Person aus meinem unmittelbaren Umfeld kam, oder es sich nur um Smalltalk handelte. In der Tendenz waren es eher Menschen, die älter waren als ich, aber es ist auch vorgekommen, dass ein guter Freund meinte: „Ja, also den Master musst du auf jeden Fall schnell machen, sonst hast du wirklich überhaupt keine Chance auf einen vernünftigen Job.“

An dieser Stelle mal eine kurze Rekapitulation meiner Situation: Ich bin 21 Jahre alt, habe mit 17 Abitur gemacht, danach direkt angefangen zu studieren, werde im Sommer meinen Bachelor und bis dahin fünf Praktika, drei Werkstudentenjobs und ein Auslandssemester gemacht haben. Ich finde, damit habe ich mich ganz gut geschlagen.

Trotzdem scheint es von allen Seiten den ständigen Druck zu geben, noch mehr zu machen, noch schneller fertig zu sein – und nebenbei so produktiv und engagiert wie nur irgendwie möglich. Das Schlimmste daran ist, dass diese Erwartungshaltung auf mich überspringt und mich in einen Zustand latenter Panik versetzt, in dem ich ständig befürchten muss, dass ich Chancen verpasst oder noch nicht genug getan habe.

Und das ist Quatsch. Mal ganz ehrlich: Viele unserer Eltern haben in meinem Alter erst angefangen zu studieren. Es gab kein G8, keinen Bachelor und auch keinen einjährigen Master. Die hatten noch ausreichend Zeit, sich mal so richtig lange an einem Ort einzunisten und einfach alles auf sich zukommen zu lassen, während das Ende des Studiums oder der Ausbildung in weiter Ferne lag. Ich finde: Diese weite Ferne steht meiner Generation auch zu.

Natürlich hat mein Problem mit dem durchgetakteten Lebensplan auch was damit zu tun, dass man als junger Mensch feiern, das Leben genießen, spontan sein will. Durch einen festen Job ist man da schnell sehr eingeschränkt. Man kann nicht einfach mal so über ein verlängertes Wochenende wegfahren. Und durchzechte Nächte gestalten sich auch weniger schön, wenn man um acht im Büro sein muss.

Aber es gibt auch tiefer liegende Gründe als nur „ich will meine Jugend nutzen“. Ich möchte ganz in Ruhe einen Schritt nach dem anderen machen können. Ansonsten bin ich mit dem Kopf nicht richtig bei dem, was ich gerade mache. Die ständigen Gedanken an die Zukunft lassen die Panik in mir wieder hochkochen. Während ich gerade meine Bachelorarbeit vorbereite, will ich nicht darüber nachdenken, wann und wo ich welchen Master mache, damit ich später die größtmöglichen Jobchancen habe. Ich will nicht ständig auf dem Sprung sein, schon die nächste Bewerbung, den nächsten Lebensabschnitt oder den nächsten vernünftigen Schritt zu planen. Es ist wie beim Multitasking: Das führt ja auch dazu, dass Menschen, die vieles gleichzeitig erledigen wollen, oft schlechtere Ergebnisse erzielen, als diejenigen, die alles nacheinander abarbeiten. Ich habe das Gefühl, weder meinen momentanen Aufgaben gerecht zu werden, noch wirklich adäquate Zukunftsplanung betreiben zu können, wenn beides nebeneinander geschehen soll.

Davon mal abgesehen ist es ist ja auch nicht so, dass ich vollkommen uninteressiert im stillen Kämmerlein sitze und selbst nichts anstoße. Aber ich muss doch nicht heute schon wissen, was ich nach meinem Jahr Pause mache und danach und danach.

Wichtig ist auch, dass man die frühen 20er als Zeit zum Reifen braucht – und sie sich auch nehmen darf, ohne sich dafür permanent rechtfertigen zu müssen. Es gibt sogar Studien, die sagen, dass das menschliche Gehirn erst mit Ende 20 wirklich ausgereift und erwachsen ist. Wie soll man denn dann schon mit 21 entscheiden können, was man für den Rest seines Lebens machen will?

Viele meiner Freunde im selben Alter empfinden das ähnlich. Die machen teilweise sogar vor und nach dem Studium ein Gap Year, weil sie einfach nicht mit Anfang 20 schon fertig auf dem Arbeitsmarkt stehen wollen.

Ich denke, die wenigsten Leute wissen in diesem Alter schon, wo und was sie später mal sein wollen. Und selbst wenn sie es wissen, heißt das nicht zwangsläufig, dass das auch wirklich eintreten wird. Wer hat schon einen komplett geradlinigen Lebenslauf?

Und auch von der Seite der Arbeitgeber macht diese Eile doch gar keinen Sinn, oder? Für die muss es  doch vollkommen absurd sein, 22-jährigen (Ja, wenn man mit 17 Abi macht, dann kann man mit 22 einen fertigen Master haben) große Verantwortung im Unternehmen zu übertragen – selbst wenn ihre Abschlüsse sie theoretisch dafür qualifizieren. Verantwortungsbewusstsein kommt auch mit Lebenserfahrung, und die bekommt man nicht automatisch durch einen Uni-Abschluss. Dass ein bisschen mehr Zeit nicht schadet, zeigen auch Umfragen unter Arbeitgebern, die mit immer jüngeren Berufseinsteigern nicht selten unzufrieden sind. DIHK-Präsident Eric Schweitzer, Präsident des Deutschen Industrie- und Handelskammertags, sagte dazu: „Ich kann mir schon vorstellen, dass die wachsende Unzufriedenheit mit den Bachelor-Kandidaten auch mit dem sinkenden Alter der Absolventen zusammenhängt.“

Später werde ich hoffentlich einmal dankbar auf die Zeit zurückblicken, in der noch so viel offen stand und ich nicht wusste, wo meine „Reise“ hingeht. Bis dahin möchte ich einfach genießen, was ich gerade mache, anstatt mir Druck zu machen, wegen Dingen, die in der Zukunft liegen. Jetzt habe ich die Zeit, mich auszuprobieren, Fehler zu machen und mich damit anzufreunden, dass auch mal alles drunter und drüber geht.

Wenn mich in Zukunft jemand fragt, was genau mein Plan sei für nach dem Sommer und wann ich denn gedenke, meinen Master anzufangen, wird er ein Lächeln und ein „Mal schauen, erstmal mache ich jetzt ganz in Ruhe meinen Bachelor“ bekommen.

Am besten beruhigt hat mich übrigens meine Mutter. Die hat sich das ganze Thema nämlich von vorne bis hinten angehört und meinte dann „Selbst wenn du zwei Jahre Pause machen willst, dann ist es eben so. Du hast ja Zeit.“  

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