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So überlebst du die Supermarktkasse

Illustration: Federico Delfrati

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Nicht alles im Leben ist freiwillig. Die Survival-Kolumne ist Anlässen gewidmet, denen wir uns stellen müssen – ob wir wollen oder nicht. Ein Leitfaden zum Überleben. 

Der Supermarkt ist die Kathedrale des Kapitalismus. Selbst nach dem härtesten Arbeitstag oder der brutalsten Feiernacht schleppen wir uns tagtäglich (kein junger Mensch kauft „für die Woche“ ein) in seine heiligen Hallen. Auch du lädst dir dort regelmäßig einen Haufen Kram auf Hände und Arme, bis du merkst, dass du eigentlich einen Korb gebraucht hättest. Dafür ist es meistens dann schon zu spät, lieber auf zur Kasse, die Eier auf der Spitze deines mittelmäßig austarierten Warenturms fangen gerade an zu wackeln und der rechte Arm ist schon taub vom Vanilleeis-Eimer. Leider beginnen an der Kasse die Probleme erst. Denn auch nach Jahrhunderten kapitalistischer Huldigung hat die Gesellschaft noch keine wirkliche Übereinkunft über das Verhalten am schwarzen Fließband gefunden. Aber mit unserer Hilfe überlebst du das!

Da wäre zunächst mal die Auswahl der Kasse. Der ungeübte Supermarktgänger dürfte sich hier die Schlange aussuchen, die am wenigsten weit in die Regalreihen hineinragt. Erster Fehler! Perfide Supermarktplaner legen die Kassen nämlich auf unterschiedlichen Höhen an, was einem oft erst bewusst wird, wenn der vermeintlich schicksalshaft-romantische Augenkontakt, der gerade noch auf deiner Höhe in der Schlange gegenüber stand, schon mit gepackten Taschen den Markt verlässt.

Die Wahl der „richtigen“ Kasse ist also reiner Aberglaube – und in vielen Supermärkten gibt es eh nur eine. Doch auch dann lauern Gefahren! Zum Beispiel der Satz: „Sie können auch zu mir rüberkommen!“. Er fällt immer, kurz nachdem eine Gruppe von Anstehenden den „zweite Kasse bitte!“-Song angestimmt hat, der in seiner Mischung aus pampiger Anklage und Höflichkeit so etwas wie die eigentliche deutsche Nationalhymne ist. Wird das Wehklagen lang genug vorgetragen, ruft der Kassierer an der Kasse einen anderen Kassierer aus seiner wohlverdienten Pause, der kommt dann von hinten anmarschiert und spricht den magischen Rüberkommen-Satz. Obwohl diese Einladung an eine neue, jungfräuliche Kasse sich zunächst sehr verlockend anhört, solltest du höchst vorsichtig sein! Für das soziale Gefüge an der Kasse bedeutet er nämlich nicht weniger als einen Aufruf zur Anarchie: Für einen Premium-Platz an der zweiten Kasse geht der Deutsche über Leichen, im wahrsten Sinne des Wortes. Solltest du dem Sturm auf die zweite Kasse im Weg stehen, rette dich lieber mit einem beherzten Sprung hinter ein Regal und warte, bis sich die Lage beruhigt hat.

Stelle grundsätzlich keine Warentrenner auf

Stehst du wenig später tatsächlich in der Schlange, befindest du dich in einer neuen Konfliktzone. Das Förderband. Und auf ihm das ultimative Problemobjekt: der Warentrenner. Lange war sich die Wissenschaft nicht einig, welche Bezeichnung diesem hochkomplexen Gerät überhaupt gerecht wird: Kassentrennstab? Trennholz? Kundenseperator? Immerhin weißt du jetzt schon mal, dass sich Warentrenner irgendwann durchgesetzt hat. Der korrekte Umgang mit ihm ist allerdings an keinerlei soziale Konvention geknüpft. Der Warentrenner ist einfach da. Du musst theoretisch vollkommen spontan aus der Situation heraus entscheiden, ob du oder doch dein Vordermann dafür verantwortlich ist, den Trenner aufzustellen. Und was ist mit dem Kunden hinter dir? Zu viele Fragen, du musst ans Überleben denken, wage die radikale Lösung: Stelle einfach grundsätzlich keine Warentrenner auf. 99 Prozent der Deutschen würden es niemals zulassen, dass ihre Ware ungetrennt vor den Kassierer gerät – denn so offen, sozial und nächstenliebend wir uns sonst gerne geben – bei gleich zu erwerbendem Eigentum hört der Spaß auf! Insofern musst du dir eigentlich überhaupt keinen Kopf machen, irgendwer wird den Warentrenner schon hinstellen, bereite dich lieber auf die nächste Hürde vor: das Einpacken.

Die höchste Anerkennung in diesem Land haben diejenigen Menschen, deren Ware noch vor dem Zahlvorgang sauber und sortiert verpackt ist. Dafür haben wir eine heilige Regel erfunden, die wir wie einen Schatz von Generation zu Generation weitergeben: Die schweren Dinge nach unten, die weicheren nach oben. Es soll sogar Leute geben, die ihre Einkäufe schon auf dem Band nach dieser Ordnung vorsortiert haben, wahre Meister ihres Fachs – schließlich soll beim großen Finale alles ganz schnell gehen.

Wer sich nämlich mit nur halb fertig gepackten Taschen bereits ans Zahlen macht, während Teile des Einkaufs noch lose in diesem Auffangstahlbeckendings hinter dem Band liegen (für das die Wissenschaft noch keine passende Bezeichnung gefunden hat), gilt hier als Faulpelz, elendiger Schmarotzer. Wer das Tempo in unserer Gesellschaft nicht halten kann, hat die Teilhabe an ihr nicht verdient! Strafende Blicke aus der Schlange, vorwurfsvolle Seufzer, und du auch noch ohne Bargeld, einer dieser verdammten Kartenzahler – versuche jetzt irgendwie Ruhe zu bewahren! Denn falls du nun noch die PIN deiner EC-Karte falsch eintippst, bist du quasi schon mit einem Fuß im Grab. Behalte aber auch deine Einkäufe im Blick. Denn nachdem der Kartenleser dein Geld abgebucht hat, wird der Kassierer die Einkäufe deines Nachfolgers weiterschieben und zur Strafe für deine Langsamkeit mit deinen vermischen. Du kannst ihn besänftigen, wenn du wenigstens sein „Kassenzettel?“ mit „ja“ beantwortest, auch wenn du den danach direkt im Müll versenkst,  du hast heute schon genug Extrawürste bekommen.

Verlasse nun so schnell wie möglich den Supermarkt, blicke nicht zurück. Denn im Gegensatz zu den verächtlich blickenden Menschen hinter dir, denen das gefährliche Zahl- und Packritual noch bevorsteht, kannst du dir bereits sicher sein: Du hast überlebt.

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