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Survival-Kolumne: Der Gang zur Behörde
Nicht alles im Leben ist freiwillig. Die Survival-Kolumne ist Anlässen gewidmet, denen wir uns stellen müssen – ob wir wollen oder nicht. Ein Leitfaden zum Überleben.
Urlaub sollte was Schönes sein. Also auch mit Vorfreude verbunden. Wenn man die Urlaubs-Vorfreude mit der Vorfreude auf eine andere schöne Sache vergleicht, zum Beispiel auf Sex, wäre das Bürgeramt entsprechend der masochistische Tantra-Kurs. Das Suhlen im eigenen Leid, Bürokratie-Fetisch deutscher Art und schlechtgelaunte Mitbürger – was bitte ist geeigneter, um seine Vorfreude aufs Ausland ins Absolute zu steigern?
Wahrscheinlich sind die Ablaufdaten von Reisepässen genau deswegen so gelegt, dass sie dir kurz vor dem Übersee-Trip noch einen Strich durch die Rechnung machen. Und wahrscheinlich haben sich auch genau deswegen viele Länder bei ihren Einreisebestimmungen diese witzigen „noch mindestens xy Monate gültig“-Klauseln für Pässe ausgedacht. Da du (und auch sonst niemand) je auf den Gedanken gekommen ist, an einem freien Tag einfach mal seinen bald ablaufenden Pass zu erneuern, rennst du also wenige Wochen vor Abflug ins Bürgeramt – gebucht hast du natürlich, bevor dir das ganze Reisepass-Dilemma klar geworden ist. Deinem hoffentlich nachsichtigen Arbeitgeber hast du Bescheid gegeben, dass du wegen eines Behördengangs etwas später kommst, vielleicht ein, zwei Stunden. Dass du damit gelogen hast, war euch beiden klar.
Nun stehst du also um zehn vor acht schlotternd vor dem noch geschlossenen Bürgeramt und fragst dich, wie du hier am Schnellsten durchkommst. Gott sei Dank gibt es diese Kolumne!
Der naheliegendeste Tipp: Wohne nicht in einer Großstadt
Der naheliegendste Tipp kommt hier wahrscheinlich schon zu spät. Er lautet: Wohne nicht in einer Großstadt. In kleineren Gemeinden besteht die Behörde aus fünf Menschen, alle sind mit deinen Eltern befreundet oder verwandt. Du kommst nachmittags vorbei, füllst den Antrag aus, richtest noch ein paar Grüße aus und wenige Tage später bekommst du mit Handkuss und einer Schachtel Pralinen für die Eltern deinen neuen Pass überreicht. Der Autor dieser Kolumne wohnt in einer Großstadt, vielleicht stimmen diese Kaff-Mythen vom Hörensagen also auch nur zur Hälfte, aber egal. Als Einwohner einer Kleinstadt darfst du hier jedenfalls aufhören zu lesen, die hier beschriebenen Probleme sind dir nämlich fremd, du Glücklicher!
Du betrittst nun also das Bürgeramt, Bürgerbüro, Kreisverwaltungsreferat oder wie auch immer sich der verlässlich sehr hässliche, retrofuturistische Bürokomplex deiner Stadt nennen mag. Obwohl alle anderen um dich herumschwirren und ziemlich genau zu wissen scheinen, welcher Gang in diesem Labyrinth sie zum Ziel führt, darfst du den einen Fehler schon einmal nicht machen: Dich herdentriebmäßig mitziehen lassen. Bewahre Ruhe! Orientiere dich! Es gibt wenig Ärgerlicheres, als nach zwei Stunden Warten triumphierend aufzuspringen, nur um am Schreibtisch des Sachbearbeiters zu erfahren, dass du dich anstatt der passenden Antragstelle bei der Ausgabestelle für die Nachnamen Y-Z angestellt hast.
Hätte, Hätte, Wartezettel
Die Orientierung kann dauern, plane hierfür etwa eine halbe Stunde ein. Bestenfalls hast du vorher einen Lageplan ausgedruckt, der dich über mögliche Sackgassen und Falltüren in Kenntnis gesetzt. Wahrscheinlich ist das nicht, schließlich wärst du dann ja ein organisierter Mensch und nicht jemand, der sechs Wochen vor Abreise um seinen Jahresurlaub bangen muss. Dann hättest du außerdem einen Termin in einem der kleineren Bürgerbüros vereinbart. Das hättest du allerdings auch schon vor Monaten tun müssen. Egal, hast du nicht, hätte, hätte, Wartezettel.
Quäle dich nicht länger mit deinen Versäumnissen, sondern rette, was zu retten ist. Wer regelmäßig neue Pässe beantragen muss (wie der Autor dieses Textes, Stichwort organisierter Mensch), lässt sich beim Betreten des Warteraums nicht täuschen. Dort sitzt nämlich bereits ein meist wahnsinnig netter Sachbearbeiter, der die mitgebrachten Dokumente geradezu begeistert entgegennimmt und dir kurz das Gefühl gibt, das Bürokratie und Menschlichkeit sich nicht ausschließen. Leider nur eine Finte, der Herr ist zwar menschlich, aber als Dokumenteprüfer im Grunde machtlos, weswegen er nach seiner Prüfung auf den Wartenummer-Automaten neben sich verweist.
Bitte mach' nicht den wartenden Deutschen!
Ein erstaunlicher Fehler der meisten Bürgeramt-Besucher ist es nun, nach dem Ziehen der Nummer wie ein guter Untertan auf den vorgesehenen Stühlchen Platz zu nehmen, dort dann alle fünf Minuten pflichtschuldig zu seufzen und andere Wartende ohne klares Motiv mit abschätzigen Blicken zu bedenken. Diese Leitkultur des Wartens, die sich von deinem Stuhl über Flugzeuggates in aller Welt („Wer sich früher anstellt, landet früher!“) bis zum Mein-Zug-hält-in-einer-Viertelstunde-also-stehe-ich-mit-Koffer-im-Gang-Zwang wie ein schwarzrotgoldener Faden durch unser Land zieht, musst du nicht mitmachen! Geh vor die Tür! Verabrede dich zum Essen, schreibe ein Buch, baue ein Haus! Denke darüber nach, ob man einen Text über Behörden schreiben kann, ohne Passierschein A38 zu erwähnen! Du hast Zeit. Tu alles, aber bitte mach' nicht den wartenden Deutschen!
Viel besser: Tu etwas wirklich Konstruktives. Versuche zum Beispiel, bei den Rauchern vor dem Amt eine Art Wartenummer-Schwarzmarkt zu etablieren. Eröffne das Gespräch mit „'Tschuldigen Sie, darf ich fragen, welche Nummer Sie gezogen haben?“. Lege dann direkt die Höflichkeit ab, setze dein bestes Tony-Montana-Gesicht auf und mache ein Angebot. Gute Wartenummern sollten dir hier durchaus ein paar Hundert Euro wert sein. Dein Dealer will nicht dealen? Reiße ihm die Formulare und Passfotos aus der Hand und fange an, sie fetzenweise aufzuessen. Seine Bereitschaft wird steigen.
Bist du mit diesen völlig legalen Mitteln also zum Sachbearbeiter himself vorgedrungen, solltest du in den Schwiegersohn-Modus schalten. Lass' dir unbedingt etwas Nettes zu den Dingen auf seinem Schreibtisch einfallen! Sachbearbeiter haben die Angewohnheit, dir in Form von gerahmten Fotos in den zehn Minuten eurer Zusammenkunft möglichst viel von ihrem Privatleben preiszugeben. Lobe die Schönheit seiner Frau, seiner Kinder, seiner Kegelmannschaft und frage, wo er den angegrindeten Teddybären her hat, der in der Kunsterde der Plastikblume am Tischrand steckt. Lache über die lustigen Schildchen („Ich bin hier bei der Arbeit und nicht auf der Flucht“) und seine Kaffeetasse, auf der irgendwas Witziges über Montage steht.
Warum das alles? Weil du ihm hoffnungslos ausgeliefert bist. Der Sachbearbeiter hat ein riesiges Sortiment an Gemeinheiten, die dir den Tag versauen können, als da wären: der „Wenn Sie ihren Pass verloren haben, hätten Sie Anzeige erstatten müssen“-Trick, das „Aber nicht ganz biometrische Passfoto“-Späßchen oder der „Da müssen Sie noch mal rüber zur Kollegin am anderen Ende des Komplexes aber dann schaffen Sie es leider heute nicht mehr pünktlich zu mir zurück“-Gag.
Übe dich also in Demut. Vielleicht ist das eigentlich hier sogar der einzig wahre Rat. Erst recht, wenn du dann Wochen später deinen völlig überteuerten Express-Pass in den Händen hältst und wie selbstverständlich in jedes Land dieser Erde ein- und ausreisen kannst. Denke an all diejenigen, die das nicht können. Dafür bleibt in der Schlange am geschlossenen Flughafen-Gate sicher mehr als genug Zeit.