Süddeutsche Zeitung

Unsere Kernprodukte

Im Fokus

Partnerangebote

Möchten Sie in unseren Produkten und Services Anzeigen inserieren oder verwalten?

Anzeige inserieren

Möchten Sie unsere Texte nach­drucken, ver­vielfältigen oder öffent­lich zugänglich machen?

Nutzungsrechte erwerben

So überlebst du den Arzttermin

Illustration:Federico Delfrati

Teile diesen Beitrag mit Anderen:

Nicht alles im Leben ist freiwillig. Die Survival-Kolumne ist Anlässen gewidmet, denen wir uns stellen müssen – ob wir wollen oder nicht. Ein Leitfaden zum Überleben.

Manchmal macht dir Kranksein Spaß. Eine halbwegs erträgliche Erkältung, einmalige Magenverstimmung, oder einfach nur Fieber ohne Grund können ein ziemlich feiner Anlass für eine gute Zeit im Bett sein. Was sich zuerst wie ein 24/7-Netflix-Freischein angefühlt hat, sollte sich nach ein paar Tagen rächen: Deine Erkältung entpuppt sich als Mandelentzündung, die Magenverstimmung als Virus und Fieber ohne Grund gibt es leider gar nicht. Hühnerbrühe allein wird es nicht mehr richten, außerdem verlangt dein Arbeitgeber ein Attest. Du musst also deinen Serienmarathon unterbrechen und raus, zum Arzt. Nun hast du als unsteter, ständig umziehender junger Mensch natürlich keinen Hausarzt deines Vertrauens. Und da du an circa 300 Tagen im Jahr halbwegs gesund bist, hast du schon lange keine Praxis mehr von innen gesehen, das Wort Routineuntersuchung ist dir fremd. Soll heißen: Du begibst dich in komplett fremdes Territorium, traust deine Gesundheit einem Menschen an, den du noch nie vorher gesehen hast. Wie überlebst du das?

Gehen wir mal davon aus, dass du den Vormittag für die Recherche nach einem richtig guten Arzt genutzt, sämtliche Bewertungsportale nach dem ultimativen Antibiotika-Verschreiber gescannt und einen Termin vereinbart hast. Nun stehst du vor der Praxis, der Türsummer summt (Überraschung!) abartig laut, du betrittst ein steriles Labyrinth und musst erst einmal die Sprechstundenhilfe finden, die sich hinter einem viel zu hohen Tresen versteckt. Natürlich ist sie gerade noch mit dem Telefon oder anderen Patienten beschäftigt, die alle wie Stammgäste in einer Bar wirken. Nur du nicht. Nach ein paar unangenehmen Minuten (soll man sich hier anstellen wie im Supermarkt?) wendet sie sich dir zu.

Nun kommt der erste Moment, auf den du dich mal wieder nicht richtig vorbereitet hast: Was sagt man denn nun so einer Sprechstundenhilfe? Wie viel soll man preisgeben? Interessiert die sich für den Zustand deiner Verdauung? Hier kannst du nur verlieren: Sagst du nichts über dein Leiden, wird sie nachfragen. Erzählst du alles, dann... naja, dann weiß sie eben alles. Erzähle ihr alles, es hilft alles nichts. Aber dann auch bitte möglichst dramatisch, vielleicht kommst du dann wenigstens früher dran.

Als wäre das nicht schon demütigend genug, musst du noch eine weitere Frage beantworten: Zunächst mal das „Waren Sie schon mal bei uns?“. Klar, wer schon mal da war, muss keine Patientenbögen ausfüllen, hat für alle Vorteile. Aber irgendwie schwingt in dieser dein „Nein“ schon antizipierenden Frage auch immer ein Vorwurf mit: Was willst du hier? Wo warst du in den Jahren vorher? Warum erst jetzt? Kommt jetzt gleich ein, „Sorry, heute nur Stammgäste“? Lass dich nicht verunsichern.

Laut germanischer Sagen soll Verweigerer des Wartezimmer-Grußes nach drei Tagen die Pest ereilen

Nächste Hürde ist das Betreten eines höchst eigenartigen Soziotops namens Wartezimmer. Die deutsche Tradition will es, dass du dabei unbedingt freundlich zu grüßen hast, laut germanischer Sagen soll Verweigerer des Wartezimmer-Grußes nach drei Tagen die Pest ereilen. Zurück gegrüßt wirst du allerdings so gut wie nie, das musst du in Kauf nehmen, lass dich auch hier nicht beirren. Gerade, als du es dir mit dem Frau im Spiegel mit diskretem Lesezirkel-Umschlag auf einem der Stühle bequem gemacht hast, wirst du bemerken, dass alle anderen ihre Jacke ausgezogen haben. Erst jetzt bemerkst du die Garderobe am anderen Ende des Raumes, außerdem spürst du, wie der (Fieber?)-Schweiß in dir aufsteigt. Du musst diese Jacke jetzt noch loswerden, aber jetzt wieder aufstehen, wie wirkt das denn? Beste Methode: Verlasse den Raum, betrete ihn erneut, grüße wieder freundlich und häng dann deine Jacke auf. 

Die lange Wartezeit vertreibst du dir am besten mit Trennungsgerüchten über Royals aus Benelux-Staaten und „Megastars“, von denen du noch nie gehört hast. Alternativ kannst du auch zum Stern oder Focus greifen, Magazinen, die außerhalb von Wartezimmern schon gar nicht mehr existieren. Bevor du dir zu Ende überlegt hast, ob sich eine Lesezirkel-Mitgliedschaft für dich auch privat lohnen würde, wird dein Name aufgerufen. Zumindest, wenn du privat versichert bist. Für alle anderen empfiehlt es sich, den Tag vorher zum Anlegen eines Offline-Serienarchivs auf dem Smartphone zu nutzen.

Die nächste Hürde ist das Betreten des Behandlungszimmers – und wieder: die Begrüßung. Du bist eine Virenschleuder, die Ärztin auch, schließlich hantiert sie ja tagtäglich mit Hunderten von Viren, nicht wahr? Ist es da höflich oder schlicht lebensgefährlich, sich die Hand zu schütteln? Sicher, die wird sich schon ab und zu die Hände desinfizieren, aber ist es nicht irgendwie auch fies, ihr die eigenen Viren zu übertragen? Wie handelt man hier richtig? Unser Tipp: Niese dir kurz vor dem Begrüßungsmoment demonstrativ in die Hände, im Zweifel mehrmals hintereinander. Damit sollte diese Frage für euch beide ganz ohne Awkwardness geklärt sein.

Nach dem tatsächlichen Termin (er ist – je nach Versicherung – sehr lang oder sehr kurz) hast du es fast geschafft! Erleichtert schreitest du zum Ausgang. Dann kehrst du um, weil du sowohl Attest als auch Rezept vergessen hast. Dann noch einmal, weil deine Jacke im Wartezimmer noch am Haken hängt. Nach drei Tagen wunderst du dich, warum es dir nicht besser, sondern so richtig dreckig geht. Wir können es dir sagen: Du hast dich im Wartezimmer nicht verabschiedet.

  • teilen
  • schließen