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Survival-Kolumne: das Hallenbad
Sport ohne Schwitzen, hinterher noch Planschen und Dampfbad, mit leichtem Wellnessfeel und trotzdem abgekämpft und blitzsauber wieder raus – so von außen betrachtet ist das Hallenbad der Jackpot unter den Sportorten. Trotzdem hast du diesem mysteriösen Ort bisher eher den Rücken gekehrt, vom Zwangsschwimmen zu Schulzeiten mal abgesehen. Letzteres war Auslöser eines Traumas und damit auch deiner Panik, die schon beim leisesten Chlor-Lüftchen ausbricht.
Damals bist du bei der zweiten Bahn Rückenschwimmen fast abgesoffen und wurdest hinterher in der Sammelumkleide ausgelacht, weil du als einziger ohne ein im Nachhinein vollkommen egales Fahrtenschwimmer-Abzeichen das Becken verlassen musstest. Fortan hast du dich mit gefälschten Entschuldigungsbriefen um den Schwimmunterricht gedrückt und auch in den Jahren nach der Schule Hallenbäder stets nur als Fußpilz- und Kinderpinkelmoloch dargestellt, sobald dir jemand mit der Idee ein paar abendlicher Bahnen kam.
Doch irgendwann gab es keine Ausflüchte mehr. Die besagte Kombination aus Ganzkörpertraining und Grundreinigung klang einfach bestechend gut, um dich sowohl deines Körperfetts als auch der Flusen im Bauchnabel auf einen Schlag zu entledigen. Und so packst du dein Jutebeutelchen mit deiner Planschhose und einem überdimensionierten Handtuch vom letzten Strandurlaub, dazu kaufst dir an der Kasse der Badeanstalt sogar noch eine brandneue Schwimmbrille. Dann betrittst du durch eine eiserne Schranke den Ursprung deines Fahrtenschwimmer-Traumas mit dem festen Entschluss, hier so etwas wie Freude an der Bewegung zu empfinden. Wie willst du das anstellen?
In den Pfützen bilden sich nun Schlammstreifen, die du mit deinen Socken aufwischst
Die ersten Herausforderungen warten schon in der Umkleide. Die Sammelumkleide erscheint dir heute eher wie ein Ort für expressive Nudisten, du wählst also eine der Einzelkabinen. Sollst du da jetzt dein ganzes Zeug hinwerfen? Natürlich nicht, also erst mal einen Spind reservieren, Jacke reinhängen.
Dann watschelt ein tropfendes Kind an dir vorbei. In den von ihm verursachten Pfützen bilden sich nun Schlammstreifen von deinen Schuhen, die du notdürftig mit deinen Socken aufwischst. Irgendwas läuft hier falsch. Und nun folgt der erste und einzige wahrhaft sinnvolle Lifechanger-Ratschlag, den diese Kolumne jemals enthalten hat. Halt dich fest.
Dein großer Fehler: Du hast den freaky Klamottenständer mit Säckchen, zu finden in jeder Kabine, jahrzehntelang ignoriert. Der Plan ist nämlich eigentlich folgender: Du gehst mit Sack und Pack in die Kabine, hängst absolut alles an und in dieses einzigartige Garderobenteil und hängst dieses dann in den Spind – die Schuhe ziehst du auch schon in der Kabine aus. Die Kabine ist also eine Art Schleuse vom angezogenen, trockenen in den badehosigen, nassen Bereich des Schwimmbads – das versteht nur kein Mensch.
Das in Reihe schwimmende Oma-Trio ist bereit, dir die Bahn zu versperren
Der nächste Schritt, die Dusche vorab, ist nicht der Rede wert. Einfach nur lästig, warum zur Hölle sollte man sich reinigen, bevor man ein Becken aus Urin, Pilzen und Chlor besteigt? Sei’s drum, bring es hinter dich. Nun näherst du dich dem Becken und damit einem der passiv-aggressivsten Orte überhaupt:
Das in Reihe schwimmende Oma-Trio ist bereit, dir die Bahn zu versperren. Die schnaubende Kraul-Sportschwimmerwalze wartet nur darauf, dir seine Extremitäten in die Rippen zu rammen. Und die Teeniegang am Einmeterbrett wird jeden Versuch deinerseits, dein Rückenschwimm-Trauma aus dem Schulunterricht zu bewältigen, mit einer Arsch-auf-Gesicht-Bombe zuverlässig reaktivieren.
Du merkst: Alle, wirklich jeder einzelne, hat es auf dich abgesehen. Unser Rat: Solltest du dich nicht selbst einer dieser drei Gruppen zugehörig fühlen, meide einfach das Sportbecken. Lege dich lieber im beheizten Außenbecken auf eine der Sprudelliegen. Auf diesen blubbernden Dingern einen halbwegs entspannten Eindruck zu machen, erfordert Geschick und Muskelkraft, mindestens so viel wie 16 Bahnen Kraul.
Eine lustige Düse auf Schienbeinhöhe, die sehr geil nach Desinfektion riecht
Jede Sprudelliege ist nämlich präzise so austariert, dass sie zu wenig Haftung am Boden für ein ruhiges Liegen und zu wenig Auftrieb für ein entspanntes Treiben bietet. Sollte dir das noch nicht anstrengend genug gewesen sein, empfiehlt sich eine Runde Rentnersprenkeln mit dem Bankreinigungsschlauch im Dampfbad.
Du bist ausgepowert und entspannt? Dann mach dich bereit für das letzte Drittel deines Schwimmbadaufenthalts. Zunächst wäre da wieder die Dusche. Chlor und so weiter müssen runter, deswegen ist sie diesmal absolut gerechtfertigt. Gern auch nackt, du willst ja überall rankommen. Blöderweise kommt IMMER genau in dem Moment, in dem du dich deiner Badehose entledigst, ein Vater mit kleiner Tochter in die Dusche.
Ratlos starrt ihr euch an. Wer muss nun handeln? Der Vater kann sein Kind ja schwer allein lassen, es kann ja gerade erst sprechen. Soll er mit seiner Tochter etwa in die Frauendusche gehen? Muss ein kleines Kind den Anblick lauter nackter Männer aushalten? Sollten sich alle Männer in der Männerdusche nach einem einzelnen Kind richten und ihre Badehosen wieder anziehen? Fragen über Fragen, über die es absolut keinerlei gesellschaftliche Übereinkunft gibt. Am besten gehst du einfach raus.
Nun würdest du noch gerne den Pilz von deinen Füßen dampfstrahlen – eine der wenigen positiven Erinnerungen deiner Hallenbad-Kindheit: Eine lustige Düse auf Schienbeinhöhe, die sehr geil nach Desinfektion riecht. Leider kannst du sie heute lange suchen: Irgendein gemeiner Mensch hat verordnet, dass Fußdesinfektion überbewertet ist, kaum ein Hallenbad verfügt heute noch über die kleinen Düsen. Armes Deutschland!
Etwas geknickt gehst du in die Kabine, ziehst dich um und holst deine Schuhe aus dem Spind. Kaum hast du sie angezogen, merkst du, dass du schon wieder Schlammspuren auf dem Boden verursachst. Außerdem führt vom Spind aus kein einziger Weg zum Ausgang. Auch hier rettet dich das freaky Klamottenständerdings mit Säckchen.
Wir spulen die Zeit zurück. Du verlässt gerade die Dusche und gehst eben NICHT in die Kabine, sondern holst erst einmal deinen kompletten Kram an dem Haken plus Schuhe aus dem Spind. Dann ziehst du dich mit Sack und Pack in der Kabine um und verlässt sie dann in Richtung Föhne, nicht in Richtung Spinde. Föhne und Spine haben die beiden merkwürdigsten Pluralformen der deutschen Sprache, denkst du dir, während du die Eisenschranke Richtung Ausgang durchquerst. Und auch, wenn du dein Trauma nicht wirklich überwinden konntest, hast du immerhin eins: überlebt.