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Wer sich zu früh verabschiedet hat, erlebt die maximale Peinlichkeit

Illustration: Janina Schmidt

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Lebensaufgabe Sozialkompetenz! So wichtig wie Wasser und Brot, so kompliziert wie eine Operation am offenen Herzen. In der Serie „Hilfe, Menschen!“ berichten wir ab sofort von unseren Sozialphobien. Heute: gefangen zwischen „tschüß“ und „tschüß“.

Geh bitte

Von all den vielen schlimmen Momenten, die man so mit anderen Menschen erleben kann, ist ein besonders unerträglicher jener, der eigentlich ein Moment zwischen zwei Momenten ist und damit zu den fiesesten Tücken der ohnehin schon so fiesen zwischenmenschlichen Kommunikation gehört. Auf der Liste der größten Unangenehmheiten steht er ganz oben: der Moment, in dem man sich eigentlich schon verabschiedet hat, aber leider noch nebeneinander im Fahrstuhl oder in der U-Bahn ausharren muss.

Willkommen in der Interzone

Zwar fürchtet ihn jeder, aber trotzdem fällt jeder darauf rein, mal selber, mal gezwungen vom anderen. Dabei könnte alles so einfach sein: Man wartet einfach, bis der Zug hält oder der Fahrstuhl oder welchen engen Raum man sich auch immer teilen muss, und erst dann, genau dann sagt man „Tschüß, ciao, auf bald, ne“, und weg ist man. Aber so, wie die Menschen trotz der Jahrtausende währenden Evolution immer noch zu großen Teilen nicht verstehen, dass man eine Flasche quer auf das Kassenband legen muss, damit sie nicht alles umbumst, so haben sie auch diese einfache Regel noch immer nicht verstanden.

Und da ist er dann, der Interzone-Moment: Man sagt sich Tschüss, man steht auf, man steht nun nebeneinander und dann sagt man... nichts. Der Puls beschleunigt sich, die Atmung wird etwas nervös, denn man ist jetzt offiziell nicht mehr zu zweit, man ist keine kleine Gruppe mehr, man hat sich ja verabschiedet. Man ist nun quasi fremd, man steht schweigend nebeneinander, von außen für niemanden erkennbar zusammengehörig. Das Gehirn stolpert ein bisschen, denn es sucht nach einer Lösung für das Problem. Es kann nicht damit umgehen, dass das Gespräch jetzt vorbei ist, der Mensch, der grade noch Gesprächspartner war, aber noch da ist. Denn es hat gelernt, dass man miteinander redet, wenn man nebeneinander steht und sich kennt. Es hat gelernt, dass Schweigen unangenehm ist und vermieden werden muss. Und beides kollidiert jetzt mit der Tatsache, dass man sich grade verabschiedet hat. Also, denkt das Gehirn, was is jetzt, eben haben wir doch noch gesprochen und jetzt schweigen wir uns hier kaputt. Vielleicht also doch noch mal was sagen? Nee, lieber nicht, denn der Zug hält ja gleich. Aber wann ist es denn endlich soweit? Und ist das genau so schrecklich unangenehm für den Daniel wie für mich?

Erlösung kann es schließlich nur von außen geben, nur die sich öffnende Tür kann Erleichterung bringen - und schließlich ist er endlich vorbei, der schlimme Zwischenmoment. Noch mal winken, Tschüss, ja, bis Montag oder so, bye, gerade noch mal überlebt.

Tausend Jahre Fegefeuer

Beim nächsten Mal wissen wir es hoffentlich schon besser und holen sofort nach dem Abschied das Smartphone aus der Tasche und öffnen ungefährliche Apps und Seiten (Mails, Nachrichtenseiten oder Twitter bieten sich an), dabei nicken wir geschäftig und tiefgründig und machen allgemein ein Bin-beschäftigt-immer-was-zu-tun- ich-bin-so-ein-Workaholic-Gesicht, das man vielleicht auch schon in allen anderen unangenehmen, sozialen Situationen geübt hat. Denn wie wir wissen, übersteht man einen Großteil aller furchtbaren Momente wie diesen mit einer einfachen Handlungsanweisung: Schaue so wenig Menschen wie möglich in die Augen und so viel wie möglich auf dein Telefon.

Anders verhält es sich übrigens, wenn man mit Freunden die gleiche Bahn nimmt und sie sich nach einem im besten Fall wahnsinnig tiefgründigen Gespräch (über die Kollegen lästern zum Beispiel) verabschieden, aber noch nicht aufstehen, sondern stumm sitzenbleiben. Oder sie stehen auf und man steht still leidend nebeneinander. In diesem Fall muss man die Freundschaft einfach beenden, am besten sofort, spätestens aber, wenn der andere endlich aus der Tür entschwindet. Denn Freunde dürfen sich diese Dinge nicht antun, das ist ein ungeschriebenes Gesetz, und wer es bricht, muss 1000 Jahre stumm neben Menschen stehen, denen er gerade Tschüss gesagt hat, die aber einfach nicht gehen und darauf warten, dass sich die Türen öffnen, schwitzend, ganz irre, für immer im Fegefeuer dieses unerträglichen Moments.

 

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