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Wenn der Chef neben dir am Pissoir steht

Illustration: Katharina Bitzl

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Lebensaufgabe Sozialkompetenz! So wichtig wie Wasser und Brot, so kompliziert wie eine Operation am offenen Herzen. In der Serie „Hilfe, Menschen!“ berichten wir ab sofort von unseren Sozialphobien. Heute: Pupsgeräusche von denen da oben.

Man kann über die Qualität des Films „American Pie” streiten. Was man aber nicht bestreiten kann: Viele der Pennälerwitze und Pimmelhumorszenen haben einen sehr wahren Kern. Da ist zum Beispiel Paul Finch, ein unscheinbarer Junge, Typ netter Loser-Nerd. Neben seiner Vorliebe für ältere Frauen, beziehungsweise „Stifler’s Mom”, zeichnet er sich vor allem durch einen Tick aus, der ihm den Beinamen „Heimscheißer“ eingebracht hat. 

Finch geht grundsätzlich nicht auf die Schultoilette. Aber sein Rivale verabreicht ihm natürlich bald das unvermeidliche Abführmittel. Finch rettet sich gerade noch auf die Toilette, die – natürlich – die Damentoilette ist, die – auch natürlich – von drei Schönheiten betreten wird, sofort, nachdem Finch sich in der Kabine eingeschlossen hat. Die schminken sich vor dem Spiegel und irgendwann kann Finch nicht mehr anders: Er gibt auf, der Durchfall hat gewonnen. Samt all seinen geräuschvollen Begleiterscheinungen. Die Mädchen rennen schreiend raus, als Finch schließlich nachfolgt, steht die halbe Schule vor der Toilettentür. Heimscheißer ist blamiert.

Ja, sehr übertrieben, aber wie gesagt mit wahrem Kern. Er besteht in dem schlimmen Gefühl, das sich einstellt, wenn man auf öffentlichen Toiletten Menschen trifft, die man kennt. Präziser gesagt: Menschen, die man zwar kennt, aber eher aus einer professionellen Beziehung als aus einer persönlichen. Auf der Clubtoilette einem Menschen zu begegnen, den man vom Feiern kennt: eher nicht so schlimm. Mit einem Kumpel auf dem Oktoberfest an der Pissrinne: überhaupt kein Problem. In der Uni kurz vor dem Seminar noch den Professor am Pissoir zu treffen: schon schlimm. Die Toilette betreten, feststellen, dass es, sagen wir: sehr würzig riecht, und dann öffnet sich eine Kabinentür und der Chef tritt, noch seinen Gürtel schließend, heraus: unfassbar unangenehm!

Das Problem ist also nicht das Klo an sich. Sondern die Art der Bekanntschaft. Das Ausmaß der fehlenden Distanz. Da steht einem dann ein Mensch gegenüber, den man siezt und mit dem man sonst in Vorlesungen oder Meetings möglichst professionell wichtigtut. Die jetzige Situation ist aber maximal unprofessionell und eigentlich höchst privat und kollidiert deshalb mit allem, was einem das Gehirn an Verhaltensmustern für ein Treffen mit diesem Menschen mitgegeben hat.

Nicht umsonst heißt es ja immer: Wenn du vor wichtigen Leuten einen Vortrag halten musst und aufgeregt bist, stell sie dir nackt oder auf der Toilette vor. Denn dann verlierst du den übertriebenen Respekt. Während des Vortrags mag das tatsächlich nützlich sein. Wenn du aber neben deinem Prof am Pissoir stehst, ist das erstens sehr real und nicht nur eine Vorstellung, bishin zu Tröpfel- und Pupsgeräuschen, die du noch weniger hören willst als seine Statistik-Vorlesung. Vor allem aber ist die kognitive Dissonanz, die hier entsteht, nicht wie in der Vortragssituation dein Freund, sondern dein Feind.

Was soll man in dieser Situation sagen? „Na, Herr Müller? Läuft's?”

Die nicht zusammenpassenden Wahrnehmungen „Professor” und „Professor auf dem Klo” beruhigen dich nämlich nicht. Sie verwirren dich. Für das eigentlich distanzierte Verhältnis herrscht hier grade viel zu viel  Nähe. Umso mehr natürlich, je höher das Hierarchiegefälle zwischen dir und deiner Klo-Begegnung ist. Das löst Verwirrung darüber aus, was jetzt zu tun ist. Wenn Herr Müller gerade 50 Zentimeter neben einem pinkelt, kann man nicht einfach genauso „Guten Morgen, Herr Müller” sagen wie sonst im Seminar oder im Meeting. Man weiß aber auch nicht, was man sonst sagen soll: „Na, Herr Müller? Läuft's?” oder gar was auf dem Schenkelklopfer-Niveau „Was keine Miete zahlt, muss raus, was, Herr Müller?!” Vermutlich nicht.

Noch schlimmer, aber immerhin eindeutig ist das zweite Problem: Wo soll man hinschauen?! Auf gar keinen Fall rüber zu Herrn Müller! Viel zu groß wäre die Gefahr, dass man versehentlich den Blick etwas zu tief richtet. Oder dass Herr Müller denken könnte, man wolle den Blick absichtlich in diese Richtung lenken, zwecks vergleichender Recherche. Bleibt also nur, den Blick starr vor sich an die Wand zu richten, als sei das Fliesenmuster dort spannender als jede Netflix-Serie.

Im Grunde kann man in so einer Situation also nichts tun, was sie auch nur ansatzweise in eine angenehme oder unverkrampfte verwandeln könnte. Auf dem Klo mit dem Kollegen, das ist der Endgegner der unschönen sozialen Kontakte. Bleibt also nur, jedes Mal beim Betreten der Toilette zu hoffen, dort niemandem zu begegnen. Und auf dem Weg dorthin vorausschauend zu gehen, um jederzeit beiläufig beidrehen zu können, wenn der Chef den Anschein erweckt, ebenfalls aufs Klo zu wollen. 

Eine Alternative gibt es doch noch: Man muss einfach seine Kollegen zu seinen Freunden machen. Oder seine Freunde zu Kollegen. Kurz: Bei jetzt arbeiten. Da ist es dann sogar auf dem Klo nett. 

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